Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Recht auf Familienzusammenführung. Begriff ‚unbegleiteter Minderjähriger’. Recht eines Flüchtlings auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern. Flüchtling, der zum Zeitpunkt seiner Einreise in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats und der Stellung seines Asylantrags unter 18 Jahre alt war, aber zum Zeitpunkt des Erlasses der asylgewährenden Entscheidung und der Stellung seines Antrags auf Familienzusammenführung volljährig ist. Für die Beurteilung der Minderjährigkeit des Betroffenen maßgeblicher Zeitpunkt

 

Normenkette

Richtlinie 2003/86/EG Art. 2 Buchst. f, Art. 10 Abs. 3 Buchst. a

 

Beteiligte

A und S

A

S

Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie

 

Tenor

Art. 2 Buchst. f in Verbindung mit Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ist dahin auszulegen, dass ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der zum Zeitpunkt seiner Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und der Stellung seines Asylantrags in diesem Staat unter 18 Jahre alt war, aber während des Asylverfahrens volljährig wird und dem später die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, als „Minderjähriger” im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Den Haag (Gericht von Den Haag, Niederlande) mit Entscheidung vom 26. Oktober 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Oktober 2016, in dem Verfahren

A,

S

gegen

Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), des Richters A. Rosas, der Richterinnen C. Toader und A. Prechal sowie des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. September 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von A und S, vertreten durch N. C. Blomjous und S. Wierink, advocaten,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, M. A. M. de Ree und H. S. Gijzen als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und G. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Oktober 2017

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. 2003, L 251, S. 12).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen A und S, eritreische Staatsangehörige, auf der einen Seite und dem Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie (Staatssekretär für Sicherheit und Justiz, Niederlande) (im Folgenden: Staatssekretär) auf der anderen Seite wegen dessen Weigerung, ihnen und ihren drei minderjährigen Söhnen eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis im Rahmen der Familienzusammenführung mit ihrer ältesten Tochter zu erteilen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2003/86

Rz. 3

Die Richtlinie 2003/86 legt die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige fest, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten.

Rz. 4

In den Erwägungsgründen 2, 4, 6 und 8 bis 10 der Richtlinie 2003/86 heißt es:

„(2) Maßnahmen zur Familienzusammenführung sollten in Übereinstimmung mit der Verpflichtung zum Schutz der Familie und zur Achtung des Familienlebens getroffen werden, die in zahlreichen Instrumenten des Völkerrechts verankert ist. Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und berücksichtigt die Grundsätze, die insbesondere in Artikel 8 der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten] Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden.

(4) Die Familienzusammenführung ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Familienleben möglich ist. Sie trägt zur Schaffung soziokultureller Stabilität bei, die die Integration Drittstaatsangehöriger in dem Mitgliedstaat erleichtert; dadurch wird auch der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt gefördert, der als grundlegendes Ziel der Gemeinschaft im Vertrag aufgeführt wird.

(6) Zum Schutz der Familie und zur Wahrung oder Herstellung des Familienlebens sollten die materiellen Voraussetzungen für die Wahrnehmung des Rechts auf Familienzusammenführung nach gemeinsamen Kriterien bestimmt werden.

(8) Der Lage von Flüchtlingen sollte wegen der Gründe, die sie zur Flucht gezwungen haben und sie daran hindern, ein normales Familienleben zu führen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Deshalb sollten günstigere Bedingungen für die Ausübung ihres Rechts auf Familienzusammenführung vorgesehen werden.

(9) Die Familienzu...

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