Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Rahmenbeschluss 2002/584/JI Art. 8 Abs. 1 Buchst. c. Europäischer Haftbefehl. Pflicht zur Aufnahme von Angaben über das Vorliegen eines ‚Haftbefehls’ in den Europäischen Haftbefehl. Fehlen eines vorhergehenden nationalen Haftbefehls, der nicht mit dem Europäischen Haftbefehl identisch ist. Folge

 

Beteiligte

Bob-Dogi

Niculaie Aurel Bob-Dogi

 

Tenor

1. Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „Haftbefehl” dahin zu verstehen ist, dass er einen nationalen Haftbefehl bezeichnet, der nicht mit dem Europäischen Haftbefehl identisch ist.

2. Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die vollstreckende Justizbehörde einen Europäischen Haftbefehl, der auf das Vorliegen eines „Haftbefehls” im Sinne dieser Bestimmung gestützt ist, jedoch keine Angabe über das Vorliegen eines nationalen Haftbefehls enthält, nicht vollstrecken darf, wenn sie unter Berücksichtigung der gemäß Art. 15 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in geänderter Fassung vorgelegten Informationen sowie aller anderen ihr zur Verfügung stehenden Informationen feststellt, dass der Europäische Haftbefehl nicht gültig ist, weil er ausgestellt wurde, ohne dass tatsächlich ein nationaler Haftbefehl ausgestellt worden war, der nicht mit dem Europäischen Haftbefehl identisch ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curte de Apel Cluj (Berufungsgericht Cluj, Rumänien) mit Entscheidung vom 22. Mai 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Mai 2015, in dem Verfahren betreffend die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen

Niculaie Aurel Bob-Dogi

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin C. Toader, des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin) sowie des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Januar 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der rumänischen Regierung, vertreten durch R. Radu, A. Buzoianu und R. Mangu als Bevollmächtigte,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und M. Tátrai als Bevollmächtigte,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Bogensberger und I. Rogalski als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. März 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen der Vollstreckung eines am 23. März 2015 vom Mátészalkai járásbíróság (Amtsgericht Mátészalka, Ungarn) gegen Herrn Niculaie Aurel Bob-Dogi ausgestellten Europäischen Haftbefehls in Rumänien.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 5 bis 8 und 10 des Rahmenbeschlusses lauten:

„(5) Aus dem der Union gesetzten Ziel, sich zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu entwickeln, ergibt sich die Abschaffung der Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und deren Ersetzung durch ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden. Die Einführung eines neuen, vereinfachten Systems der Übergabe von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder wegen einer Straftat verurteilt worden sind, für die Zwecke der strafrechtlichen Verfolgung oder der Vollstreckung strafrechtlicher Urteile ermöglicht zudem die Beseitigung der Komplexität und der Verzögerungsrisiken, die den derzeitigen Auslieferungsverfahren innewohnen. Die bislang von klassischer Kooperation geprägten Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sind durch ein System des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen – und zwar sowohl in der Phase vor der Urteilsverkündung als auch in der Phase danach – innerhalb des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu ersetzen.

(6) Der Europäische Haftbefehl im Sinne des vorliegenden Rahmenbeschlusses stellt im strafrechtlichen Bereich die erste konkrete Verwirklichung des vom Europäischen Rat als ‚Eckstein’ der justiziellen Zusammenarbeit qualifizierten Prinzips der gegenseitigen...

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