Entscheidungsstichwort (Thema)

Charta der Grundrechte. Vorlage zur Vorabentscheidung. Offenlegung des Jahresabschlusses. Sanktionen bei unterlassener Offenlegung. Verhängung von Zwangsgeldern durch ein Zivilgericht. Verwaltungsverfahren zur Beitreibung dieser unanfechtbar gewordenen Zwangsgelder. Regelung, die die Überprüfung dieser Zwangsgelder durch ein Verwaltungsgericht ausschließt. Rechtskraft. Effektivitätsgrundsatz. Verhältnismäßigkeit

 

Normenkette

Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; Richtlinie 2013/34/EU Art. 30, 51

 

Beteiligte

Willy Hermann Service

Willy Hermann Service GmbH

DI

Präsidentin des Landesgerichts Feldkirch

 

Tenor

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, gemäß der ein Verwaltungsgericht, das über die Beitreibung von gegen eine Gesellschaft und ihren Geschäftsführer wegen unterlassener Offenlegung der Jahresabschlüsse verhängten Zwangsstrafen entscheidet, an die rechtskräftig gewordene Entscheidung des Zivilgerichts gebunden ist, mit der diese Zwangsstrafen verhängt und ihre Höhe festgelegt wurden, um die Einhaltung der Verpflichtungen aus den Art. 30 und 51 der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates – wie sie in das nationale Recht umgesetzt wurden – sicherzustellen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-561/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck (Österreich), mit Entscheidung vom 18. August 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 24. August 2022, in dem Verfahren

Willy Hermann Service GmbH,

DI

gegen

Präsidentin des Landesgerichts Feldkirch

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi (Berichterstatterin) sowie der Richter J.-C. Bonichot und S. Rodin,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Wesentlichen die Auslegung der unionsrechtlich anerkannten Grundsätze der Rechtskraft und der Effektivität.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Willy Hermann Service GmbH und DI als Geschäftsführer dieser Gesellschaft auf der einen und der Präsidentin des Landesgerichts Feldkirch (Österreich) auf der anderen Seite über ein Verfahren zur Beitreibung von Zwangsgeldern, die vom Landesgericht Feldkirch (Österreich) verhängt wurden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2013/34/EU

Rz. 3

Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (ABl. 2013, L 182, S. 19) lautet:

„Der Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über die Gliederung und den Inhalt des Abschlusses und des Lageberichts, die heranzuziehenden Bewertungsgrundlagen und die Offenlegung dieser Informationen, insbesondere für bestimmte Rechtsformen von Unternehmen mit beschränkter Haftung, kommt im Hinblick auf den Schutz von Aktionären, Gesellschaftern und Dritten besondere Bedeutung zu. In den genannten Bereichen ist für die entsprechenden Rechtsformen von Unternehmen eine zeitgleiche Koordinierung erforderlich, da zum einen bestimmte Unternehmen in mehr als einem Mitgliedstaat tätig sind und da sie zum anderen über ihr Nettovermögen hinaus Dritten keinerlei Sicherheiten bieten.“

Rz. 4

In Art. 30 („Allgemeine Offenlegungspflicht“) dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Unternehmen innerhalb einer angemessenen Frist, die 12 Monate nach dem Bilanzstichtag nicht überschreiten darf, den ordnungsgemäß gebilligten Jahresabschluss und den Lagebericht sowie den Bericht des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft gemäß Artikel 34 dieser Richtlinie nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Kapitel 2 der Richtlinie 2009/101/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. 2009, L 258, S. 11)] vorgesehenen Verfahren offenlegen.

...“

Rz. 5

Art. 51 („Sanktionen“) dieser Richtlinie bestimm...

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