Leitsatz (amtlich)

Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung (hier: Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung).

 

Normenkette

ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2-3

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 06.09.2019; Aktenzeichen 5 U 262/19)

LG Osnabrück (Urteil vom 19.06.2019; Aktenzeichen 3 O 1413/19)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des OLG Oldenburg vom 6.9.2019 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt bis 8.000 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines VW Golf im Jahr 2014 in Anspruch, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet war. Die Motorsteuerung war so programmiert, dass die Abgasrückführung auf dem Prüfstand in einen NOx-optimierten Betriebsmodus versetzt wurde, während sie außerhalb des Prüfstandes im Straßenverkehr im nicht NOx-optimierten Betriebsmodus operierte. Nach Bekanntwerden der Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware und Rückrufaufforderung durch das Kraftfahrtbundesamt wurde auf das streitgegenständliche Fahrzeug ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update aufgespielt.

Rz. 2

Mit seiner Klage hat der Kläger die Zahlung eines Betrages von 2.800 EUR nebst Zinsen als Ausgleich für einen durch die Betroffenheit des Fahrzeugs von dem sog. "Dieselskandal" verursachten Minderwert des Fahrzeuges im Falle eines Weiterverkaufs verlangt. Daneben hat er beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weitere materiellen Schäden zu ersetzen, die aus der manipulierten Motorsoftware des von ihm erworbenen Fahrzeugs resultieren, und den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Gestützt hat der Kläger die geltend gemachten Ansprüche auf § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB.

Rz. 3

Das LG hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, da die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genüge. Es fehle an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung, weil sich der Kläger mit den die Abweisung tragenden Ausführungen des LG zur Unzulässigkeit und Unbegründetheit der Klage nicht auseinandergesetzt habe.

Rz. 4

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 5

Die gem. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG NJW 2003, 281 m.w.N.).

Rz. 6

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 21.8.2019 inhaltlich nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO an eine Berufungsbegründung entspricht, ist nicht zu beanstanden.

Rz. 7

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 11.2.2020 - VI ZB 54/19 NJW-RR 2020, 503 Rz. 5 m.w.N.). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 11.2.2020 - VI ZB 54/19, a.a.O., Rz. 6 m.w.N.). Bei einem teilbaren Streitgegenstand oder bei mehreren Streitgegenständen muss sich die Berufungsbegründung grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Änderung beantragt wird (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rz. 6 m.w.N.; BGH, Urt. v. 4.7.2013 - III ZR 52/12 NJW-RR 2014, 492 Rz. 56 m.w.N.).

Rz. 8

2. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers nicht gerecht. Sie enthält hinsichtlich keiner der streitgegenständlichen prozessualen Ansprüche einen hinreichenden inhaltlichen Bezug zu den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils.

Rz. 9

a) Im Hinblick auf den geltend gemachten Zahlungsanspruch geht bereits die Zusammenfassung der Entscheidungsgründe in der Berufungsbegründung, wonach nach Auffassung des LG die Beklagte weder arglistig getäuscht habe noch eine sittenwidrige Schädigung des Klägers vorliege, und die erste inhaltliche Rüge, das LG sehe die Voraussetzungen des Betrugstatbestandes nach § 263 Abs. 1 StGB zu Unrecht als nicht vorliegend an, am Inhalt des landgerichtlichen Urteils vorbei. Denn das LG hat sich mit den tatbestandlichen Voraussetzungen der in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche nicht befasst, sondern die Klageabweisung hinsichtlich des geltend gemachten Ersatzanspruches wegen des angeblichen merkantilen Minderwertes des Fahrzeuges ausschließlich damit begründet, dass diese Position nach den vom Kläger herangezogenen Anspruchsgrundlagen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ersatzfähig ist. Die Berufungsbegründung lässt nicht erkennen, welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe sie den hierzu vom LG angeführten Argumenten entgegensetzen will.

Rz. 10

aa) Mit der Ansicht des LG, der als Schadensposition geltend gemachte merkantile Minderwert des Fahrzeugs betreffe das von deliktischen Ansprüchen nicht erfasste Erfüllungsinteresse, setzt sich die Berufungsbegründung nicht auseinander. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ergibt sich zu dieser Frage auch nichts aus den von der Berufungsbegründung hinsichtlich der "Makelbehaftung" des Fahrzeugs angeführten gerichtlichen Entscheidungen.

Rz. 11

bb) Auf die vom LG gesehenen Widersprüche im erstinstanzlichen Klägervortrag zur hypothetischen Entscheidung des Klägers bei unterstelltem Wissen von einer Softwaremanipulation geht die Berufungsbegründung ebenfalls nicht ein, sondern wiederholt lediglich den erstinstanzlichen Vortrag, der Kläger hätte das Fahrzeug nicht bzw. nicht so erworben. Soweit die Berufungsbegründung insoweit ergänzend auf angeblich vom LG berücksichtigten Vortrag des Klägers zu Äußerungen der Verkäuferseite bei Vertragsabschluss abhebt, findet sich weder an der von der Berufungsbegründung benannten noch an einer sonstigen Stelle des angegriffenen Urteils eine entsprechende Feststellung.

Rz. 12

cc) Die weitere Erwägung des LG, der Kläger hätte jedenfalls vortragen und unter Beweis stellen müssen, dass der nicht mit der Beklagten identische Verkäufer das Fahrzeug bei Kenntnis von der Softwaremanipulation zu einem geringeren Preis angeboten hätte, greift die Berufungsbegründung nicht an. Auch soweit das LG konkreten Vortrag des Klägers zur Höhe des täuschungsbedingten Minderwertes des Fahrzeugs vermisst, tritt die Berufungsbegründung dem nicht entgegen, sondern verweist lediglich auf Instanzrechtsprechung, die einen merkantilen Minderwert der vom "Dieselskandal" betroffenen Fahrzeuge in allgemeiner Form bejaht habe. Dass das LG dem insoweit vom Kläger erstinstanzlich beantragten Sachverständigenbeweis nicht nachgegangen ist, wird von der Berufungsbegründung nicht gerügt.

Rz. 13

b) Hinsichtlich des vom LG für unzulässig gehaltenen Feststellungsantrags bringt die Berufungsbegründung vor, aufgrund des Einbaus der Optimierungssoftware bestehe die Möglichkeit, dass zukünftig Schäden am Fahrzeug entstehen könnten, und verweist hierzu auf landgerichtliche Rechtsprechung, wonach "nicht auszuschließen" bzw. "keineswegs abwegig" sei, dass die Beseitigung der Manipulationssoftware negative Auswirkungen auf Fahrzeug und Fahrleistungen haben könne. Die Berufungsbegründung setzt aber der maßgeblichen Erwägung des LG nichts entgegen, wonach eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende - bei reinen Vermögensschäden für die Zulässigkeit der Feststellungsklage notwendige (vgl. BGH, Urt. v. 24.1.2006 - XI ZR 384/03 VersR 2006, 1219 Rz. 27 m.w.N.) - hinreichende Wahrscheinlichkeit solcher Schäden vom Kläger nicht dargelegt sei. Auch in diesem Zusammenhang wird im Übrigen das Übergehen eines Beweisangebotes nicht gerügt.

Rz. 14

c) Bezüglich des geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten geht die Berufungsbegründung in keiner Weise auf die vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 826 BGB unabhängigen Erwägungen des LG zur fehlenden Erforderlichkeit eines außergerichtlichen Vorgehens ein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 14116247

WM 2020, 1894

ZIP 2020, 2419

JZ 2020, 699

MDR 2020, 1462

MDR 2020, 7

VRS 2020, 87

VersR 2021, 598

r+s 2020, 657

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