Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfolglose Wiedereinsetzung nach Berufungseinlegung bei unzuständigem Berufungsgericht

 

Leitsatz (amtlich)

Legt der Berufungskläger seine Berufung unter Verkennung von § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG beim unzuständigen LG ein, so ist Wiedereinsetzung mit Blick auf den Verfassungsgrundsatz des fairen Verfahrens selbst dann nicht zu gewähren, wenn zwischen dem Eingang der Berufung beim unzuständigen Gericht und dem Ablauf der Berufungsfrist ein Zeitraum von 7 Tagen liegt: Die Zuständigkeit des OLG war für den Beamten der Vorschaltstelle nicht "leicht und einwandfrei" (BVerfG NJW 2002, 3692 f.) zu erkennen.

 

Verfahrensgang

AG Saarbrücken (Urteil vom 06.06.2008; Aktenzeichen 42 C 434/06)

 

Tenor

1. Der Antrag der Klägerin, ihr gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des AG Saarbrücken vom 6.6.2008 - 42 C 434/06 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird zurückgewiesen.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des AG Saarbrücken vom 6.6.2008 - 42 C 434/06 - wird als unzulässig verworfen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

4. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 3.750 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin wohnt zumindest seit dem Zeitpunkt der Klageerhebung in F-[PLZ/Ort] in Frankreich. Das Urteil des AG, durch das ihre Klage abgewiesen und sie auf die Widerklage der Beklagten verurteilt worden ist, ist ihren Prozessbevollmächtigten am 12.6.2008 zugestellt worden. Deren Berufungsschrift ist am 7.7.2008 (Nachtbriefkasten) im Original bei dem LG eingegangen. Am 8.7.2008 ist die Berufungsschrift zur Vorschaltstelle des LG und am 15.7.2008 zu der für zuständig gehaltenen 2. Zivilkammer gelangt. Die Kammervorsitzende hat die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16.7.2008 darauf hingewiesen, dass gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG die Berufung bei dem OLG einzulegen sei und auf deren Bitte die Berufungsschrift am selben Tag an das OLG weitergeleitet. Auf den Hinweis, dass die am 17.7.2008 eingegangene Berufung verspätet sei und deshalb die Absicht bestehe, diese als unzulässig zu verwerfen, haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24.7.2008 beantragt, der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren.

II. Die am 17.7.2008 bei dem OLG eingegangene Berufung ist unzulässig und deshalb gem. § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen.

1. Die Klägerin hat die Berufungsfrist versäumt. Für die Verhandlung und Entscheidung über die Berufung gegen das Urteil des AG war nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG das OLG zuständig, da die Klägerin ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes, nämlich in Frankreich hatte. Dem gemäß war die Berufung nach § 519 Abs. 1 ZPO durch Einreichung einer Berufungsschrift beim OLG einzulegen. Dort ist die Berufungsschrift der Klägerin jedoch nicht innerhalb der nach § 517 ZPO am 14.7.2008 (=Montag) ablaufenden Berufungsfrist eingegangen, sondern erst am 17.7.2008. Die innerhalb der Berufungsfrist am 7.7.2008 bei dem unzuständigen LG eingegangene Berufungsschrift der Klägerin hat die Frist nicht wahren können.

2. Der Klägerin ist die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu versagen. Die Klägerin war nicht ohne ihr Verschulden verhindert, diese Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Vielmehr trifft ihre Prozessbevollmächtigten insofern ein Verschulden an der Versäumung der Frist, das sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, als sie die Berufung gegen das Urteil des AG in Verkennung der Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG innerhalb der Berufungsfrist nicht beim zuständigen OLG, sondern beim unzuständigen LG eingelegt haben.

Das der Klägerin zuzurechnende Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten ist nicht deswegen folgenlos, weil das (unzuständige) LG die bei ihm eingegangene Berufungsschrift nicht innerhalb der Berufungsfrist an das zuständige OLG weitergeleitet hat. Der Anspruch der Klägerin auf ein faires Verfahren, der sich aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip ergibt (BVerfG v. 20.6.1995 - 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99 [113]), wurde hierdurch nicht verletzt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG, der sich der BGH angeschlossen hat, darf sich die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, nicht nur an dem Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weit gehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Danach muss der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert wer...

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