Leitsatz (amtlich)

Ein Asylbewerber hat Anspruch auf Haftentschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK, wenn im Rahmen der Anordnung von Abschiebehaft nicht beachtet wurde, dass der Asylablehnungsbescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt war (Abweichung von OLG Köln v. 8.7.1996 - 7 W 29/96, NVwZ 1997, 518).

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 08.03.2005; Aktenzeichen 15 O 417/04)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 18.05.2006; Aktenzeichen III ZR 183/05)

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Das beklagte Land trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 143 EUR.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über Schadenersatzansprüche des Klägers wegen seiner Inhaftierung im Rahmen eines Abschiebehaftverfahrens.

Der Asylerstantrag des Klägers wurde am 13.3.2003 abgelehnt, der Bescheid aber nicht ordnungsgemäß zugestellt. Das Regierungspräsidium beantragte am 27.2.2004 die Anordnung der Abschiebehaft als Sicherungshaft. Im Rahmen seiner Haftanhörung erklärte der Kläger, er habe nicht gewusst, dass er ausreisen soll. Nach Anordnung der Haft durch das AG Waiblingen - XIV 21 B/2004 wurde der Kläger am 27.2.2004 in der Justizvollzugsanstalt Mannheim inhaftiert. Auf Veranlassung des Regierungspräsidiums erfolgte am 10.3.2004 seine Freilassung. Das LG Stuttgart hat auf eine Beschwerde des Klägers mit Beschl. v. 29.6.2004 (LG Stuttgart, Beschl. v. 29.6.2004 - 2 T 77/04) festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Abschiebehaft nicht vorgelegen haben, da der Ablehnungsbescheid mangels ordnungsgemäßer Zustellung noch nicht bestandskräftig war und der Kläger deshalb nicht ausreisen musste (Bl. 4 ff.).

Das LG hat der Klage auf Zahlung von 143 EUR (13 Hafttage zu je 11 EUR) aus Art. 5 Abs. 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (im Folgenden EMRK) stattgegeben, weil der Kläger nach § 57 Abs. 2 AuslG i.V.m. §§ 55 Abs. 1, 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG nicht zur Ausreise verpflichtet und die Inhaftierung deshalb rechtswidrig war. Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache wurde die Berufung zugelassen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der Begründung des LG wird auf das Urt. v. 8.3.2005 Bezug genommen (Bl. 35-45).

II. Mit der Berufung rügt das beklagte Land eine fehlerhafte Anwendung von Art. 5 Abs. 5 EMRK, da die Freiheitsentziehung trotz der fehlerhaften Zustellung des Asylablehnungsbescheids nicht rechtswidrig erfolgt sei.

1. Die für eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 EMRK erforderlichen Voraussetzungen seien eingehalten worden.

a) Die deutsche (innerstaatliche) Ermächtigungsgrundlage ergebe sich aus dem damals noch anzuwendenden § 57 Abs. 2 AuslG. Danach sei die Verhaftung des Klägers zu Recht erfolgt. Eine fehlerhafte Anwendung dieser Norm begründe nach Rechtsprechung und Kommentarliteratur keine Verletzung von Art. 5 EMRK, da ein Fall der Willkür nicht vorgelegen habe.

b) Die Freiheitsentziehung sei entgegen der Auffassung des LG auf gesetzliche Weise erfolgt. Es komme nicht auf den nicht (ordnungsgemäß) zugestellten Ablehnungsbescheid an, sondern es sei nur das Verfahren über die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung zu untersuchen. Die Anordnung der Abschiebung, der Antrag auf Anordnung der Abschiebehaft und die Entscheidung des AG Waiblingen seien verfahrensfehlerfrei ergangen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beschränke sich auf eine Willkürkontrolle. Deshalb führe selbst die Verletzung von Verfahrensgrundsätzen nicht zu einer konventionswidrigen Freiheitsentziehung. Durch den Zustellungsfehler sei allenfalls die Abschiebung rechtswidrig, nicht jedoch die Anordnung der Abschiebehaft. Aus den Ausführungen des BGH im Urt. v. 14.7.1971 (BGH, Urt. v. 14.7.1971 - III ZR 181/69, BGHZ 57, 33 = NJW 1971, 1986) ergebe sich, dass zwar eine fehlerhafte Entscheidung des AG Waiblingen vorgelegen habe, diese aber auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg i.S.d. Art. 5 EMRK getroffen worden sei.

c) Das deutsche Recht stimme mit den Vorgaben des Art. 5 EMRK überein.

2. Ein Anspruch aus § 839 BGB bestehe nicht, da die Inhaftierung im Einklang mit den formellen und materiellen Voraussetzungen erfolgt sei. Die nicht ordnungsgemäße Zustellung könne nur dann einen Schadenersatzanspruch begründen, wenn der die Haft anordnende Richter insoweit vorsätzlich gehandelt hätte.

Das beklagte Land beantragt (Schriftsatz vom 14.5.2005, Bl. 53):

Das Urteil des LG Stuttgart v. 8.3.2005 - 15 O 417/04 wird abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt (Schriftsatz 19.4.2005, Bl. 50):

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil. Das LG habe die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs zutreffend fes...

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