Leitsatz (amtlich)

1. Während des Insolvenzeröffnungsverfahrens begründet weder das Vollstreckungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO noch eine andere Sicherungsmaßnahme des Insolvenzgerichts ein allgemeines Aufrechnungsverbot (entgegen KG Berlin v. 25.2.2000 – 7 W 602/00, KGReport Berlin 2000, 143).

2. Verrechnet die Bank im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen ihres Kunden auf dessen Konto eingehende Zahlungen mit dem Debetsaldo, beurteilt sich die Wirksamkeit der Verrechnung ausschließlich nach §§ 94 ff. i.V.m. 129 ff. InsO.

 

Normenkette

InsO § 21 Abs. 2 Nr. 2 und 3, § 94 ff., § 129 ff.

 

Verfahrensgang

LG Rostock (Urteil vom 30.10.2001; Aktenzeichen 10 O 203/01)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Rostock vom 30.10.2001 – Az.: 10 O 203/01 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.d. aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit i.H.d. jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Sicherheit durch eine Bürgschaft einer deutschen Großbank oder Sparkasse zu erbringen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter Zahlung von 62.016,83 DM nebst Prozesszinsen wegen Gutschriften, die die beklagte Sparkasse während des Insolvenzeröffnungsverfahrens mit dem Debet-Saldo des bei ihr geführten Kontokorrentkontos der Insolvenzschuldnerin verrechnet hat.

Das LG hat die Klage mit Ausnahme eines im Berufungsrechtszug zwischen den Parteien außer Streit stehenden Betrages von 278,32 DM abgewiesen. Sein Urteil ist veröffentlicht (ZIP 2000, 270 – red. Leitsatz und Gründe; EWiR 2002, 289 und KTS 2002, 298 jeweils mit red. Leitsatz). Auf dieses nimmt der Senat Bezug (§ 543 Abs. 2 ZPO a.F.).

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger weiterhin seinen Standpunkt, die nach Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) erfolgten Verrechnungen der Beklagten seien in entspr. Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig gewesen. Jedenfalls unterlägen sie der Anfechtung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, weil die Beklagte die Aufrechnungslage in anfechtbarer Weise herbeigeführt habe. Sie hätte Überweisungen der Gemeinschuldnerin erst nach endgültiger Gutschrift des zur Deckung eingereichten Schecks ausführen dürfen.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn – den Kläger – 62.016,83 DM (31.708,70 Euro) nebst 5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt im wesentlichen das angefochtene Urteil, meint aber, das LG habe ihre Verrechnungen auch als Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO anerkennen müssen.

 

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das LG hat die Klage in dem hier noch streitigen Umfang zu Recht abgewiesen.

I. Die Beklagte durfte die während des Insolvenzeröffnungsverfahrens (22.3.–30.4.1999) erteilten Gutschriften am 31.3. und 7.4.1999 verrechnen.

1. Grundlage hierfür war die durch den Kontokorrentvertrag getroffene Verrechnungsabrede. Diese verlor ihre Wirkung nicht mit dem Eingang des Insolvenzantrages (22.3.1999). Seit diesem Zeitpunkt unterlag sie allerdings denselben Beschränkungen wie die Aufrechnung (BGH v. 25.2.1999 – IX ZR 353/98, MDR 1999, 818 = NJW 1999, 3264 = ZIP 1999, 665).

2. Hierzu zählte kein Aufrechnungsverbot.

a) Unter den gegebenen Umständen ist das allerdings nicht ganz frei von Zweifeln.

aa) Immerhin hat das Involvenzgericht nicht nur am 29.3.1999 den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und von dessen Zustimmung die Wirksamkeit von Verfügungen der Schuldnerin abhängig gemacht (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO). Bereits am 24.3.1999 hatte es ein allgemeines Vollstreckungsverbot angeordnet (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO), welches nach allgemeiner Ansicht zu seiner Wirksamkeit weder der Zustellung noch seiner öffentlichen Bekanntmachung bedarf, sondern – was hier der Fall ist – nur in den Geschäftsgang des Gerichts gelangt sein muss (Haarmeyer, in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Band 1, § 21 Rz. 36 f.). Ein Vollstreckungsverbot nimmt dem Gegenstand aber seine Pfändbarkeit. Damit unterliegt er nicht mehr der Aufrechnung (§ 394 BGB).

bb) Ob eine solche Wirkung auch der richterlichen Sicherungsmaßnahme nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO zukommt, ist damit noch nicht entschieden. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang zu überlegen, ob Anordnungen nach § 21 InsO nicht wenigstens den Anwendungsbereich des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO über dessen Wortlaut hinaus eröffnen. Generell stellt sich damit die übergreifende, von der Berufung zu Recht in den Vordergrund gerückte Frage, ob die Bank im Insolvenzeröffnungsverfahren ihres Kunden auch nach Erlass von Anordnungen gem. § 21 Abs. 2 InsO noch eingehende Gutschriften mit dem negativen Kontokorrentsaldo verrechnen darf, mithin § 96 ...

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