Leitsatz (amtlich)

Die paritätische Besetzung des Aufsichtsrats einer deutschen Aktiengesellschaft durch Arbeitnehmervertreter nach den Bestimmungen des deutschen Mitbestimmungsrechts verstößt nicht gegen Art. 45 AEUV (Anschluss an EuGH, Urteil vom 18.7.2017 - C-566/15, ABl EU 2017, Nr. C 300 = ZIP 2017, 1413 = NJW 2017, 2603).

 

Normenkette

AEUV Art. 18, 45; AktG § 96 Abs. 1, §§ 98-99; MitbestG § 1 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 2, § 10

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 27.08.2015; Aktenzeichen 5 HK O 20285/14)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 27.08.2015, Az. 5 HK O 20285/14, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin. Auslagen werden nicht erstattet.

3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 50.000,00 festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten im vorliegenden Statusverfahrens nach §§ 98, 99 AktG darüber, ob der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin richtig zusammengesetzt ist. Die Antragsgegnerin ist die Muttergesellschaft eines internationalen Handels- und Dienstleistungskonzerns mit den Kernsegmenten Agrar, Energie und Bau. Sie beschäftigte zum 30.9.2014 in Deutschland 11.900, in Europa 15.361 Arbeitnehmer. Der Aufsichtsrat besteht aus 16 Mitgliedern, von denen die Hälfte die Anteilseigner und die andere Hälfte die Arbeitnehmer stellen.

Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass der Aufsichtsrat nicht nach § 7 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) iVm §§ 7, 8 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) paritätisch, sondern gemäß § 96 Abs. 1 Var. 6 AktG nur aus Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre zusammenzusetzen sei. Der Antragsteller begründet den Antrag mit der Auffassung, die Vorschriften des deutschen Mitbestimmungsrechts über die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat verstießen gegen Unionsrecht, namentlich gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 18 AEUV und gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV, weil sie das aktive und passive Wahlrecht nur den deutschen Belegschaften zugestehen, nicht aber auch den Belegschaften in anderen Staaten der Europäischen Union. Aufgrund ihrer Unionsrechtswidrigkeit dürften die geltenden Mitbestimmungsregeln nicht mehr angewandt werden.

Gegen den zurückweisenden Beschluss des Landgerichts München I vom 27.8.2015 hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt.

Mit Beschluss vom 16.10.2015 (Az. 14 W 89/15) hat das Kammergericht Berlin in einem vergleichbaren Fall dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung (Az. C-566/15) vorgelegt:

Ist es mit Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot) und Art. 45 AEUV (Freizügigkeit der Arbeitnehmer) vereinbar, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind?

Der Senat hat das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 20.2.2017 bis zur Entscheidung des EuGH über die in dem Verfahren C-566/15 vom Kammergericht mit Beschluss vom 16.10.2015 (Az. 14 W 89/15; ZIP 2015, 2172) vorgelegte Frage wegen Vorgreiflichkeit gemäß § 99 Abs. 1 AktG i.V.m. § 21 FamFG ausgesetzt. Auf den Beschluss vom 20.2.2017 wird Bezug genommen.

Der EuGH hat mit Urteil vom 18.7.2017 (Az. C-566/15, ABl EU 2017, Nr. C 300 = ZIP 2017, 1413 = NJW 2017, 2603) die Vorlagefrage des Kammergerichts wie folgt beantwortet:

"Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, wonach die bei den inländischen Betrieben eines Konzerns beschäftigten Arbeitnehmer das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der in diesem Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft des Konzerns sowie gegebenenfalls das Recht auf Ausübung oder weitere Ausübung eines Aufsichtsratsmandats verlieren, wenn sie ihre Stelle in einem solchen Betrieb aufgeben und eine Stelle bei einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dieses Konzerns antreten."

Art. 18 AEUV sei im Verfahren durch das besondere Diskriminierungsverbot des Art. 45 AEUV verdrängt. (Rn. 25 - 27)

Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 13.11.2017 das vorliegende Verfahren wieder aufgenommen und dem Beschwerdeführer Gelegenheit eingeräumt, Stellung zu nehmen. Hiervon hat der Beschwerdeführer keinen Gebrauch gemacht. Auf den Beschluss vom 13.11.2017 wird Bezug genommen.

II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft gem. § 99 Abs. 2 S. 2 AktG und fristgemäß nach § 63 Abs. 1 FamFG eingelegt.

2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat den Antrag zu Recht zurückgewiesen.

a) Der Antrag ist zulässig.

aa) Es handelt sich um einen Antrag nach § 98 Abs. 1 AktG.

Der Antrag ist darauf gerichtet festzustellen, dass der A...

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