Leitsatz (amtlich)

Das Aushandeln von Vertragsbedingungen setzt voraus, dass der Verwender zu Verhandlungen über den Vertragsinhalt bereit ist. Der Verwender muss den gesetzesfremden Kerngehalt seiner AGB inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellen und dem anderen Teil Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumen. Der Kunde muss die reale Möglichkeit erhalten, den Inhalt der Vertragsbedingungen zu beeinflussen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 27.10.2003; Aktenzeichen 30 O 372/03)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Berlin vom 27.10.2003 - 30 O 372/03 - wird zurückgewiesen.

Die Anschlussberufung des Klägers wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 26.419,87 EUR zzgl. der bereits festgesetzten und künftig noch festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Wegen der Verwerfung der Anschlussberufung wird die Revision zugelassen.

 

Gründe

I. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen und ergänzend ausgeführt (§ 540 Abs. 1 ZPO):

Das LG hat der Klage durch Urt. v. 27.10.2003, der Beklagten zugestellt am 5.11.2003 stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Sie rügt unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags, das LG habe übersehen, dass es sich bei der vereinbarten Bürgschaft um eine Individualvereinbarung und nicht um Allgemeine Geschäftsbedingungen handele. Die Rechtsprechung des BGH sei daher nicht anwendbar. Im Übrigen lägen Mängel vor.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des LG Berlin vom 27.10.2003, die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.574,81 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Wegen des weiter gehenden Antrages nimmt er die Klage zurück.

Die Beklagte beantragt, die Klageerweiterung insgesamt abzuweisen.

Der Kläger nimmt im Wesentlichen auf die zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils und seinen Vortrag in erster Instanz Bezug. Er ist der Ansicht, dass die Klageerweiterung zu jeder Zeit schon aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit zulässig sei. Die Avalkosten seien dem Kläger in der begehrten Höhe entstanden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die Berufung hat keinen Erfolg.

Die Klage ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung begründet.

Die Anschlussberufung ist unzulässig.

1. Vorliegend handelt es sich um eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern unter Ausschluss der Einreden gem. §§ 768, 770, 771 und 776 BGB. In ständiger Rspr. hat der BGH entschieden, dass eine Klausel in AGB, die vorsieht, dass von der Schlussrechnungssumme ein Gewährleistungseinbehalt in Abzug gebracht wird, der durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abgelöst werden kann, unwirksam ist. Eine geltungserhaltende Reduktion dieser Klausel, kommt anders als bei der Vertragserfüllungsbürgschaft, nicht in Betracht (BGH, Urt. v. 22.11.2001 - VII ZR 208/00, MDR 2002, 332 = BGHReport 2002, 273 = BauR 2002, 463 ff.; Urt. v. 16.5.2002 - VII ZR 494/00, BGHReport 2002, 977 = MDR 2002, 1366 = BauR 2002, 1392 ff.; Urt. v. 4.7.2002 - VI ZR 502/99, BGHZ 151, 229).

Die streitgegenständliche Bürgschaft unterfällt der Kontrolle durch das AGBG. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AGBG liegen nicht vor. Es handelt sich nicht um eine Individualvereinbarung. Soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Parteien im Einzelnen ausgehandelt sind, ist das AGBG unanwendbar. Aushandeln im diesem Sinne setzt voraus, dass der Verwender zu Verhandlungen über den Vertragsinhalt bereit ist. Aushandeln bedeutet mehr als bloßes Verhandeln. Der Verwender muss den gesetzesfremden Kerngehalt seiner AGB als inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellen und dem anderen Teil Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumen. Der Kunde muss die reale Möglichkeit erhalten, den Inhalt der Vertragsbedingungen zu beeinflussen (Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., Rz. 17 zu § 1 AGBG, m.w.N.).

Die Beklagte verwendet die Formel und das Bürgschaftsformular standardisiert in all ihren Bauverträgen. Die Vereinbarung wird nicht dadurch zu einer Individualvereinbarung, dass die Parteien vorliegend für die 19 Bauvorhaben, für welche der Kläger als Nachunternehmer tätig war und für welche die Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen war, die Bürgschaften in einer Bürgschaftsurkunde zusammengefasst haben. Dies geschah, wenn man sich die Anlage zur Bürgschaftsurkunde und die zum Teil geringen Sicherheitseinbehalte i.H.v. 103 DM bis ca. 6.000 DM pro Bauvorhaben ansieht, aus Gründen praktischer Vernunft. Ein Aushandeln in dem Sinne, dass die Beklagte als Verwender dem Klä...

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