Entscheidungsstichwort (Thema)
Niederlassungsfreiheit, unterschiedliche Quellenbesteuerung bei Dividendenausschüttung einer Tochtergesellschaft an Muttergesellschaft im Ansässigkeitsstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat
Leitsatz (amtlich)
Die Art. 43 EG und 48 EG sind dahin auszulegen, dass sie den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die die von einer in diesem Staat ansässigen Tochtergesellschaft an eine Aktiengesellschaft mit Sitz in selbigem Staat ausgeschütteten Dividenden von der Quellensteuer befreien, aber ähnliche Dividenden dieser Quellensteuer unterwerfen, die an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft in der Form einer „société d’investissement à capital variable“ (SICAV) gezahlt werden, deren Rechtsform im Recht des erstgenannten Staates unbekannt ist und nicht in der Liste der Gesellschaften, die unter Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der Fassung der Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 fallen, genannt wird und die nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats von der Einkommensteuer befreit ist.
Normenkette
EGVtr Art. 43, 48
Beteiligte
Aberdeen Property Fininvest Alpha |
Aberdeen Property Fininvest Alpha Oy |
Keskusverolautakunta (Zentraler Steuerausschuss) |
Verfahrensgang
KHO (Finnland) (Urteil vom 27.06.2007; Abl.EU 2007, Nr. C 211/21) |
Tatbestand
„Niederlassungsfreiheit ‐ Richtlinie 90/435/EWG ‐ Körperschaftsteuer ‐ Ausschüttung von Dividenden ‐ Einbehaltung von Quellensteuer auf Dividenden, die an gebietsfremde Gesellschaften ausgeschüttet werden, die keine Gesellschaften im Sinne der genannten Richtlinie sind ‐ Steuerbefreiung für Dividenden, die an gebietsansässige Gesellschaften gezahlt werden“
In der Rechtssache C-303/07
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 27. Juni 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Juni 2007, in dem Verfahren, das eingeleitet worden ist auf Betreiben der
Aberdeen Property Fininvest Alpha Oy
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet, E. Levits (Berichterstatter) und J.-J. Kasel,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Aberdeen Property Fininvest Alpha Oy, vertreten durch J. Laaksonen, oikeustieteen kandidaatti, und M. Virolainen, kauppatieteiden maisteri,
‐ der finnischen Regierung, vertreten durch J. Himmanen als Bevollmächtigte,
‐ der zyprischen Regierung, vertreten durch E. Neofitou als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und I. Koskinen als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Dezember 2008
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 43 EG, 48 EG, 56 EG und 58 EG.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens, das die Gesellschaft finnischen Rechts Aberdeen Property Fininvest Alpha Oy (im Folgenden: Alpha) beim Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) wegen Einbehaltung einer Quellensteuer auf Dividenden betrieben hat, die an die Aberdeen Property Nordic Fund I SICAV (im Folgenden: Nordic Fund SICAV), eine „société d’investissement à capital variable“ (Investmentgesellschaft mit variablem Kapital) (SICAV) luxemburgischen Rechts mit Sitz in Luxemburg, auszuschütten sind.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Art. 2 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6) in der durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 (ABl. 2004, L 7, S. 41) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 90/435) sieht vor:
„(1) Im Sinne [der] Richtlinie [90/435] ist ‘Gesellschaft eines Mitgliedstaats’ jede Gesellschaft,
a) die eine der im Anhang aufgeführten Formen aufweist;
…
c) die ferner ohne Wahlmöglichkeit einer der nachstehenden Steuern
…
‐ impôt sur le revenu des collectivités in Luxemburg,
…
‐ Yhteisöjen tulovero/inkomstskatten för samfund in Finnland,
… unterliegt, ohne davon befreit zu sein.
…“
Rz. 4
Art. 3 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. 1 der Richtlinie 90/435 bestimmt, dass als Muttergesellschaft im Sinne dieser Richtlinie wenigstens jede Gesellschaft eines Mitgliedstaats gilt, die die Bedingungen des Art. 2 erfüllt und die einen Anteil von wenigstens 20 % am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats hält, die die gleichen Bedingungen erfüllt. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. 3 und 4 ...