Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Einwanderungspolitik. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Geltungsbereich. Drittstaatsangehöriger. Strafrechtliche Verurteilung in dem Mitgliedstaat. Einreiseverbot. Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit. Aufhebung der Rückkehrentscheidung. Rechtmäßigkeit des Einreiseverbots

 

Normenkette

Richtlinie 2008/115/EG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Nr. 6

 

Beteiligte

Westerwaldkreis

BZ

Westerwaldkreis

 

Tenor

1. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass diese Richtlinie auf ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anwendbar ist, das von einem Mitgliedstaat, der von der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich in dessen Hoheitsgebiet befindet und gegen den aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf der Grundlage einer früheren strafrechtlichen Verurteilung eine Ausweisungsverfügung ergangen ist, verhängt wurde.

2. Die Richtlinie 2008/115 ist dahin auszulegen, dass sie der Aufrechterhaltung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots, das von einem Mitgliedstaat gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich in dessen Hoheitsgebiet befindet und gegen den aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf der Grundlage einer früheren strafrechtlichen Verurteilung eine bestandskräftig gewordene Ausweisungsverfügung ergangen ist, verhängt wurde, entgegensteht, wenn die von diesem Mitgliedstaat gegen diesen Drittstaatsangehörigen erlassene Rückkehrentscheidung aufgehoben wurde, und zwar selbst dann, wenn die Ausweisungsverfügung bestandskräftig geworden ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 9. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juli 2019, in dem Verfahren

BZ

gegen

Westerwaldkreis

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras (Berichterstatter), der Richter N. Piçarra, D. Šváby und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Ladenburger und C. Cattabriga als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Februar 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen BZ und dem Westerwaldkreis (Deutschland) über die Rechtmäßigkeit eines gegen BZ verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbots.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2008/115

Rz. 3

Art. 1 („Gegenstand”) der Richtlinie 2008/115 lautet:

„Diese Richtlinie enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts- und des Völkerrechts, einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, anzuwenden sind.”

Rz. 4

In Art. 2 („Anwendungsbereich”) Abs. 1 und 2 der Richtlinie heißt es:

„(1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

(2) Die Mitgliedstaaten können beschließen, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden:

b) die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist.”

Rz. 5

In Art. 3 („Begriffsbestimmungen”) dieser Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

  1. ‚Drittstaatsangehörige’: alle Personen, die nicht Unionsbürger im Sinne von Artikel [21 Abs. 1 AEUV] sind und die nicht das [Recht] auf freien Personenverkehr nach Artikel 2 Absatz 5 [der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2006, L 105, S. 1)] genießen;
  2. ‚illegaler Aufenthalt’: die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevo...

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