Entscheidungsstichwort (Thema)
Normenkontrolle. Antragsbefugnis. Landschaftsschutzverordnung. Aufhebung des Landschaftsschutzes zwecks Bebauungsplanung. naturschutzrechtliche Abwägung. Abwägung privater Belange. Rechtsschutz Planbetroffener
Leitsatz (amtlich)
Bei der (teilweisen) Aufhebung einer Landschaftsschutzverordnung aus Anlass einer gemeindlichen Bebauungsplanung erstreckt sich das naturschutzrechtliche Abwägungsgebot in § 2 Abs. 1 BNatSchG nicht auf die Bodennutzungskonflikte, die erst durch die Bauleitplanung ausgelöst und durch das Abwägungsgebot in § 1 Abs. 6 BauGB gesteuert werden.
Ein Antragsteller, der eine Verordnung, die den Landschaftsschutz aus Anlass einer Bebauungsplanung (teilweise) aufhebt, im Wege der Normenkontrolle angreift, ist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der Neufassung von 1996 nicht antragsbefugt, wenn und soweit er geltend macht, durch den nachfolgenden Bebauungsplan in seinen Rechten verletzt zu werden.
Normenkette
BNatSchG a.F. § 1 Abs. 2, § 12 ff.; BNatSchG 2002 § 2 Abs. 1, § 22 ff.; VwGO § 47 Abs. 2 S. 1; BauGB § 1 Abs. 6
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 28.02.2002; Aktenzeichen 5 S 1141/01) |
Tenor
Die Revision des Antragstellers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. Februar 2002 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen die Verordnung des Antragsgegners vom 22. Mai 2000 über die Änderung des Landschaftsschutzgebiets “Fichtenberger Rot-, Murr- und Fornsbachtal mit angrenzenden Höhenzügen”. Das Gebiet wurde durch Landschaftsschutzverordnung vom 17. Dezember 1975 unter Schutz gestellt.
Der Antragsteller ist u.a. Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks im Ortsteil H.… der Gemeinde O.…, das unmittelbar an das Landschaftsschutzgebiet angrenzt. Er ist ferner Eigentümer bzw. Pächter mehrerer Flurstücke, die sämtlich im Geltungsbereich der Landschaftsschutzverordnung von 1975 liegen. Die angegriffene Änderungsverordnung entlässt mehrere Flächen zwischen H.… und dem nordwestlich davon gelegenen O.… aus dem förmlichen Landschaftsschutz. Sie sollen durch Bebauungsplan als Bauland ausgewiesen werden, um dem dort ansässigen Holzverarbeitungsbetrieb die (erneute) Erweiterung seines Betriebsgeländes in Richtung Süd-Südosten zu ermöglichen. Die Verkleinerung des Schutzgebiets und die nachfolgende Bebauungsplanung hätten zur Folge, dass die Betriebsfläche näher an das Wohngrundstück des Antragstellers heranrückte. Der Abstand zwischen der neuen Schutzgebietsgrenze bei O.… und dem Wohngrundstück verringert sich von ca. 410 auf 310 m. Die Änderungsverordnung berührt Eigentums- oder Pachtflächen des Antragstellers im Schutzgebiet nicht; sie erstreckt das Schutzgebiet auch nicht auf Flächen, die im Eigentum des Antragstellers stehen oder von ihm gepachtet sind.
Gegen den beim Landratsamt ausgelegten Entwurf der Änderungsverordnung erhob der Antragsteller Einwendungen: Infolge der geplanten Erweiterung des Gewerbegebiets zu Gunsten des Holzverarbeitungsbetriebs seien erhöhte Immissionen (Geräusche, Gerüche, Dämpfe), klimatische Veränderungen, eine Verringerung des Retentionsraums bei Hochwasser sowie eine weitere Zerstörung des Naturparks und des Lebensraums bedrohter Tiere, insbesondere des Rotmilans, zu befürchten. Einer weiteren Verschlechterung der Wohnsituation in Hausen müsse Einhalt geboten werden, auch wenn der Holzverarbeitungsbetrieb mit ca. 500 Arbeitsplätzen einen hohen Stellenwert in der Gemeinde besitze. Der Antragsteller rügte ferner Form- und Verfahrensfehler bei Erlass der Änderungsverordnung.
Mit seinem Normenkontrollantrag, die Änderungsverordnung vom 22. Mai 2000 für nichtig zu erklären, hat der Antragsteller ergänzend vorgetragen: Seine Antragsbefugnis ergebe sich aus § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Die partielle Aufhebung des Landschaftsschutzes sei im Sinne eines “Zwangspunkts” auf Ergänzung durch gemeindliche Bauleitplanung angelegt. Die Änderungsverordnung sei abwägungsfehlerhaft. Das Landratsamt habe das Interesse an der Erweiterung des Gewerbegebiets stärker gewichtet als sein Interesse, von den erheblichen Immissionen durch die “heranrückende industrielle Nutzung” verschont zu bleiben. Der Holzverarbeitungsbetrieb sei bereits jetzt überdimensioniert und verursache erhebliche Störungen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag mit Urteil vom 28. Februar 2002 abgewiesen, im Wesentlichen mit folgender Begründung: Der Normenkontrollantrag sei unzulässig. Der Antragsteller sei nicht antragsbefugt im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Die partielle Aufhebung des Landschaftsschutzes greife nicht unmittelbar in Eigentums- oder Pachtrechte des Antragstellers ein. Einen Anspruch auf Ausweisung oder Fortbestand eines Landschaftsschutzgebiets gebe es nicht. Auf die Beeinträchtigung eines “Lagevorteils” seines Wohngrundstücks am Rande des Schutzgebiets habe der Antragsteller sich nicht berufen. Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ergebe sich auch nicht daraus, dass die Änderungsverordnung den Weg für die vom Antragsteller befürchtete gemeindliche Bauleitplanung frei machen solle. Die beabsichtigte Planung sei nur mittelbare Folge der Änderungsverordnung und ihr nicht zuzurechnen. Zwischen der Verordnung und dem eine Erweiterung des Holzverarbeitungsbetriebs zulassenden Bebauungsplan der Gemeinde bestehe zwar ein “handgreiflich-praktischer Zusammenhang”, der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. einen die Antragsbefugnis begründenden “Nachteil” dargestellt habe. Nach der Neufassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Jahre 1996 sei ein derartiger “Durchgriff” auf einen – zudem noch nicht einmal in der Aufstellung befindlichen – Bebauungsplan jedoch nicht mehr zulässig.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Antragsteller seinen Normenkontrollantrag weiter. Er rügt die Verletzung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO: Das naturschutzrechtliche Abwägungsgebot verlange bei dem Erlass einer Landschaftsschutzverordnung auch die Beachtung privater Belange. Das gelte auch bei der Aufhebung des Landschaftsschutzes. Zu den abwägungserheblichen Belangen zählten auch die von ihm geltend gemachten negativen Auswirkungen der geplanten Erweiterung des Gewerbegebiets, die durch die angegriffene Änderungsverordnung erst ermöglicht werde. Die Verordnung verletze seinen Anspruch auf gerechte Abwägung aller betroffenen Belange. Das Normenkontrollgericht habe verkannt, dass die Möglichkeit dieser Rechtsverletzung ausreiche, um die Antragsbefugnis zu begründen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet. Das Normenkontrollurteil steht in Einklang mit Bundesrecht. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht entschieden, dass der gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 4 AGVwGOBadWürtt. statthafte Normenkontrollantrag unzulässig ist, weil der Antragsteller keine Antragsbefugnis besitzt.
Die Antragsbefugnis des Antragstellers beurteilt sich nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der Fassung des Sechsten Gesetzes zur Änderung der VwGO und anderer Gesetze – 6. VwGOÄndG – vom 1. November 1996 (BGBl I S. 1626), die am 1. Januar 1997 in Kraft getreten ist. Danach ist ein Normenkontrollantrag nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO genügt ein Antragsteller seiner Darlegungspflicht, wenn er hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die angegriffene Norm in einer eigenen Rechtsposition verletzt wird. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind keine höheren Anforderungen zu stellen als nach § 42 Abs. 2 VwGO (BVerwG, Urteile vom 10. März 1998 – BVerwG 4 CN 6.97 – NVwZ 1998, 732 und vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215). Unter Zugrundelegung des Antrags- und Revisionsvorbringens können Rechte des Antragstellers offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein (zu diesem Erfordernis vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 1994 – BVerwG 1 C 24.92 – BVerwGE 95, 133 ≪134≫).
1. In Eigentums- oder Pachtrechte des Antragstellers greift die Änderungsverordnung nicht ein. Sie erstreckt den Landschaftsschutz nicht auf Grundstücke des Antragstellers, die bisher außerhalb des Landschaftsschutzgebiets lagen. Eigentums- und Pachtflächen des Antragstellers, die bereits im Schutzgebiet liegen, werden von der Änderungsverordnung nicht berührt; ihr Schutzstatus bleibt unangetastet.
Ein individueller Rechtsanspruch auf Ausweisung eines Gebiets als Landschaftsschutzgebiet besteht ebenso wenig wie ein Rechtsanspruch privater Einzelner auf Fortbestand des förmlichen Schutzstatus. Aus Bundesrecht ergibt sich eine – erzwingbare – Pflicht der Naturschutzbehörden weder zur Festsetzung eines Landschaftsschutzgebiets noch zur Aufrechterhaltung einer solchen Festsetzung (BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1997 – BVerwG 4 BN 10.97 – Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 14). Die vom Antragsteller in Hinblick auf den beabsichtigten Bebauungsplan geltend gemachten wasserwirtschaftlichen und naturschutzrechtlichen Gefahren (Verringerung des Retentionsraums bei Hochwasser, Zerstörung des “Naturparks” und des Lebensraumes des Rotmilans) können seine Antragsbefugnis daher ebenfalls nicht begründen. Insoweit macht der Antragsteller öffentliche Belange und keine eigenen Rechte geltend.
2. Der Antragsteller kann seine Antragsbefugnis auch nicht auf die mögliche Verletzung eines Rechtsanspruchs auf gerechte Abwägung des von ihm geltend gemachten privaten Interesses stützen, von den befürchteten Immissionen des infolge der beabsichtigten Bauleitplanung “heranrückenden” Holzverarbeitungsbetriebes verschont zu bleiben. Ein derartiger Rechtsanspruch steht dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner (Landratsamt) als Verordnungsgeber unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu. Unter der Geltung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO (i.d.F. des 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996) kann sich die Antragsbefugnis zur Normenkontrolle nicht (mehr) daraus ergeben, dass die zur Normenkontrolle gestellte Verordnung den bestehenden Landschaftsschutz für ein dem Grundstück des Antragstellers benachbartes Gebiet (ganz oder teilweise) zu dem Zweck aufhebt, dort eine bisher nicht zulässige, den Antragsteller beeinträchtigende Nutzung durch Bebauungsplan zu ermöglichen. Darin ist dem Normenkontrollgericht im Ergebnis zuzustimmen.
2.1 Der Hinweis der Revision auf das Senatsurteil vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – (BVerwGE 107, 215) zum drittschützenden Charakter des in § 1 Abs. 6 BauGB enthaltenen Abwägungsgebots führt hier nicht weiter. Nach jenem Urteil ist im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO (n.F.) auch antragsbefugt, wer geltend machen kann, durch den Bebauungsplan in seinem Recht auf gerechte Abwägung seiner privaten Belange verletzt zu sein. Das subjektivrechtlich verstandene Abwägungsgebot bildet die rechtliche “Brücke” zwischen dem Betroffensein eines Interesses und der Pflicht des Planers, dieses Interesse bei der Entscheidung über den Erlass und den Inhalt des Planes zu berücksichtigen.
Es ist zweifelhaft und bisher nicht abschließend geklärt, ob und in welchem Umfang diese Rechtsprechung auf das naturschutzrechtliche Abwägungsgebot in § 1 Abs. 2 BNatSchG a.F. (in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1998, BGBl I S. 2994), der hier noch anzuwenden wäre und nach § 4 Satz 3 BNatSchG a.F. für die Bundesländer unmittelbar galt, übertragbar ist. Der Verordnungsgeber besitzt im Bereich des Naturschutzrechts ein “Normsetzungsermessen” (einen “Handlungsspielraum”), der von der Sachlage her in erster Linie durch eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtete Würdigung der gegenüberstehenden Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes auf der einen und der Nutzungsinteressen der von Nutzungsbeschränkungen betroffenen Grundeigentümer auf der anderen Seite geprägt ist. Die dem Verordnungsgeber obliegende “Prüfung”, auch wenn man sie als “Abwägung” bezeichnet, ist mit der auf ein bestimmtes Vorhaben bezogenen Abwägung aller in Betracht kommenden Belange vor Feststellung eines Planes nicht identisch (BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 1988 – BVerwG 4 B 102.88 – Buchholz 406.401 § 15 BNatSchG Nr. 5). Die obergerichtliche Rechtsprechung und das Schrifttum sind in der Frage, ob und inwieweit § 1 Abs. 2 BNatSchG a.F. (und nunmehr § 2 Abs. 1 BNatSchG i.d.F. des BNatSchGNeuregG vom 25. März 2002, BGBl I S. 1193) auf private Belange zu erstrecken und in Fortführung der Rechtsprechung zu § 1 Abs. 6 BauGB als Rechtsgrundlage eines subjektiven Rechts auf gerechte Abwägung zu verstehen ist, geteilter Auffassung (vgl. hierzu Louis/Engelke, BNatSchG, 2. Auflage 2000, Rn. 25 zu § 1, Rn. 77, 152 zu § 12 BNatSchG a.F.; Gassner, in: Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, BNatSchG, 2. Auflage 2003, Rn. 25 zu § 2 BNatSchG 2002; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, Stand: September 2003, Rn. 29, 30 zu § 2 BNatSchG 2002 – jeweils m.w.N. zur Rspr).
Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob aus der gesetzlichen Ausprägung des naturschutzrechtlichen Abwägungsgebots in § 1 Abs. 2 BNatSchG a.F. ein subjektives Recht auf gerechte Abwägung betroffener privater Belange folgt. Der Senat braucht auch nicht abschließend zu klären, wie weit der Kreis der privaten Belange zu ziehen ist, die der Verordnungsgeber bei der förmlichen Unterschutzstellung oder bei der (teilweisen) Aufhebung des Natur- und Landschaftsschutzes zu berücksichtigen hat.
2.2 Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf gerechte Abwägung der von ihm geltend gemachten privaten Belange schon deshalb nicht zur Seite, weil seine durch den beabsichtigten Bebauungsplan ausgelösten Befürchtungen bei Erlass der Änderungsverordnung nach dem Regelungszweck des Bundesnaturschutzgesetzes objektivrechtlich nicht zum notwendigen “Abwägungsmaterial” der Naturschutzbehörde gehörten. Das Normenkontrollgericht geht erkennbar davon aus, dass das Landesnaturschutzrecht in Übereinstimmung mit Bundesrecht einen solchen Anspruch des Antragstellers ebenfalls nicht begründet.
Der Kreis der relevanten Interessen, die der Verordnungsgeber bei der (teilweisen) Aufhebung des Natur- oder Landschaftsschutzes zu berücksichtigen hat, wird durch die Ziel- und Grundsatzbestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes und die Zwecke seiner Schutzinstrumente näher bestimmt und zugleich eingeschränkt. Dieses Gesetz und die seinen Rahmen ausfüllenden Naturschutzgesetze der Länder dienen als Fachgesetze einer bestimmten öffentlichen Aufgabe, dem Schutz, der Pflege und der Entwicklung von Natur und Landschaft. Hierzu normiert der Gesetzgeber Ziele, Grundsätze und Handlungsaufträge (vgl. §§ 1 und 2 BNatSchG), die u.a. durch die Ermächtigung zur Festlegung von Schutzgebieten konkretisiert werden (§§ 12 ff. BNatSchG a.F., §§ 22 ff. BNatSchG 2002). Die Unterschutzstellung eines Gebiets dient der Abwehr von Gefahren für Natur und Landschaft. Das Gesetz stellt dem Verordnungsgeber daher verschiedene Schutzgebietskategorien zur Verfügung, die sich nach dem konkreten Zweck unterscheiden, der je nach Eigenart des Gebiets mit besonderen Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen verfolgt wird. Die damit verbundenen Regelungsbefugnisse werden dem Verordnungsgeber zur Lösung spezifischer naturschutzrechtlicher Interessenkonflikte eingeräumt. Diese Konflikte sind durch Interessenkollisionen gekennzeichnet, in denen entweder gegenläufige Naturschutzziele aufeinander treffen (wie Naturschutz und Naturgenuss – Erholung und Freizeit in der Natur) oder naturschutzexterne Interessen (wie Industrieansiedlung, gewerbliche Nutzung, Schaffung von Arbeitsplätzen, Verkehrsanlagen) im Widerstreit mit naturschutzspezifischen Umweltbelangen stehen.
Auf diesen Interessenkonflikt zielt auch das Abwägungsgebot in § 1 Abs. 2 BNatSchG a.F. (§ 2 Abs. 1 BNatSchG 2002), das den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege die “Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Landschaft” gegenüberstellt. Es kommt im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf an, ob das Gesetz mit den Anforderungen der “Allgemeinheit” nur Gründe des Gemeinwohls oder auch Nutzungsansprüche einzelner Privater erfasst, die durch eine Unterschutzstellung oder deren (teilweise) Aufhebung negativ betroffen sind; grundrechtlich geschützte Belange sind in jedem Fall zu berücksichtigen (Art. 14 Abs. 1 GG). Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Bundesnaturschutzgesetzes nur bestimmte Interessenkonflikte zum Ausgleich bringen will. Selbst wenn man zu den “Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Landschaft” grundsätzlich alle privaten und öffentlichen Nutzungsansprüche zählt, denen die Natur durch den Menschen ausgesetzt ist (Land- und Forstwirtschaft, Verkehr, Industrie und Gewerbe, Wohnen und Erholung), so beschränkt das naturschutzrechtliche Abwägungsgebot den Kreis der berücksichtigungsfähigen Interessen doch auf die Nutzungsansprüche, die nachteilige Auswirkungen auf Natur und Landschaft haben können. Bei der (teilweisen) Aufhebung des Schutzgebietsstatus sind die Auswirkungen der so geschaffenen erweiterten Nutzungsmöglichkeiten auf die zuvor mit dem förmlichen Schutz von Natur und Landschaft verfolgten Ziele zu berücksichtigen. Das Entscheidungsprogramm (“Abwägungsmaterial”) des Verordnungsgebers wird durch die fachspezifischen Schutzzwecke des Bundesnaturschutzgesetzes begrenzt.
Zu den Interessenkonflikten, die der Verordnungsgeber bei der (teilweisen) Aufhebung einer Landschaftsschutzverordnung lösen kann und soll, gehören nicht die Konflikte, die auf der Ebene des Städtebaurechts auftreten und durch das bauleitplanerische Abwägungsgebot in § 1 Abs. 6 BauGB gesteuert werden. Das trifft auch dann zu, wenn die Aufhebung des Schutzgebietsstatus den Erlass eines Bebauungsplans vorbereiten soll, und gilt insbesondere für Bodennutzungskonflikte, die erst durch eine gemeindliche Bauleitplanung ausgelöst werden und Probleme des Immissionsschutzes in der Nachbarschaft aufwerfen (im Ergebnis ebenso: VGH Mannheim, NVwZ-RR 2000, 770 ≪771≫; OVG Schleswig, NuR 2000, 477; Louis/ Engelke, a.a.O., Rn. 153 zu § 12 BNatSchG a.F.). Die Schutzverordnung der Naturschutzbehörde ist nicht dazu bestimmt und geeignet, gegenläufige öffentliche und private Nutzungsinteressen zum Ausgleich zu bringen, die durch die künftige Ausweisung eines Industrie- oder Gewerbegebiets in einem früheren Landschaftsschutzgebiet betroffen sein könnten. Ist die zuständige Behörde zum Schutze bestimmter Teile von Natur und Landschaft aus naturschutzfachlicher Sicht nicht gezwungen, ein Schutzgebiet auszuweisen, so ist es ihr naturschutzrechtlich unbenommen, eine Schutzgebietsfestsetzung nachträglich wieder aufzuheben oder zu beschränken, sofern den besonderen Schutzzwecken entgegenstehende, überwiegende sachliche Gründe die Zurückstellung der Naturschutzbelange rechtfertigen (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1997 – BVerwG 4 BN 10.97 – UPR 1998, 65 ≪66≫).
Soll der Landschaftsschutz hinter gegenläufigen Planungsabsichten einer Gemeinde zurückstehen, hat der Verordnungsgeber die Ziele der Bauleitplanung in den Blick zu nehmen und den betroffenen Belangen von Natur und Landschaft “abwägend” gegenüberzustellen. Dabei hat er die Ziele der Gemeinde vorausschauend auch daraufhin zu beurteilen, ob der Planung tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstehen, die ihre Realisierung auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit unmöglich machen. Die Aufhebung des Schutzgebietsstatus allein zu dem Zweck, den Weg für einen Bebauungsplan frei zu machen, der offensichtlich nicht vollzugsfähig und deshalb mit § 1 Abs. 3 BauGB nicht vereinbar wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2002 – BVerwG 4 CN 14.00 – BVerwGE 116, 144 ≪146 ff.≫ m.w.N.), ist naturschutzrechtlich nicht erforderlich und rechtswidrig. Den Zweckzusammenhang zwischen der Entlassung aus dem Natur- oder Landschaftsschutz und den Zielen der gemeindlichen Bauleitplanung darf der Verordnungsgeber nicht übersehen. Ob er sich insoweit mit einer Evidenzprüfung begnügen darf, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von dem Gewicht der betroffenen naturschutzrechtlichen Belange und der bauleitplanerischen Eingriffsintensität.
Eine weitergehende Ermittlung und Bewertung der in der konkreten Planungssituation widerstreitenden städtebaulich relevanten Interessen und deren Gewichtung im Verhältnis zueinander fällt nicht in den Aufgabenbereich der als Verordnungsgeber handelnden Naturschutzbehörde und kann von ihr deshalb auch nicht verlangt werden. Die prozessökonomische Funktion der Normenkontrolle nach § 47 VwGO rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die Antragsbefugnis wird gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO durch das materielle Recht bestimmt. Sie setzt einen Rechtsanspruch (subjektives Recht) voraus, dessen Verletzung durch die Norm oder deren Anwendung möglich sein muss. Einen solchen Anspruch gibt das materielle Recht in der vorliegenden Fallkonstellation wie ausgeführt nicht her. Der Rechtsschutz potentiell planbetroffener Anwohner, die sich gegen einen Bebauungsplan in einem ehemaligen Landschaftsschutzgebiet zur Wehr setzen wollen, wird dadurch sichergestellt, dass sie – unter dem Vorbehalt ihrer Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 6 BauGB – bei der Normenkontrolle des Bebauungsplans auch eine inzidente Überprüfung der landschaftsschutzrechtlichen Änderungsverordnung erreichen können. Das Normenkontrollgericht ist befugt, die Rechtmäßigkeit des Plans in diesem Fall auch daran zu messen, ob der förmliche Landschaftsschutz, der einer Planrealisierung im Wege stehen würde, gemessen an den Zielen und Grundsätzen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu Recht aufgehoben worden ist.
3. Die vom Antragsteller angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F., nach der eine Rechtsvorschrift im Wege der Normenkontrolle unter bestimmten Voraussetzungen auch dann angegriffen werden kann, wenn sie erst im Zusammenwirken mit einem weiteren Rechtsakt private Belange beeinträchtigen konnte, ist angesichts der Neufassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht geeignet, seine Antragsbefugnis zu begründen.
Die Revision verweist auf den Senatsbeschluss vom 18. Dezember 1987 – BVerwG 4 NB 1.87 – (Buchholz 406.401 § 15 BNatSchG Nr. 2 = NVwZ 1988, 728; vgl. auch Beschluss vom 9. Februar 1995 – BVerwG 4 NB 17.94 – NVwZ 1995, 895). Danach konnte sich ein Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. daraus ergeben, dass durch die zur Normenkontrolle gestellte Verordnung der bestehende Landschaftsschutz für ein dem Grundstück des Antragstellers benachbartes Gebiet (ganz oder teilweise) gezielt aufgehoben wurde, um dort eine bestimmte, bisher nicht zulässige Nutzung (in jenem Fall: Golfplatz) durch Bebauungsplan zu ermöglichen. Diese Rechtsprechung lässt sich unter der Geltung des 1996 neu gefassten § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht fortführen. Sie stützt die Antragsbefugnis bei der Normenkontrolle einer landschaftsschutzrechtlichen Änderungsverordnung auf die Zurechenbarkeit von Nachteilen und will dem “handgreiflich-praktischen” Ursachenzusammenhang zwischen Verordnung und Bebauungsplan Rechnung tragen. Nach geltendem Recht setzt die Antragsbefugnis die Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch die angegriffene Norm oder deren Anwendung voraus. Ein Antragsteller, der sich gegen die “konzertierte Aktion” von Verordnungsgeber und planender Gemeinde zur Wehr setzen will, kann eine prinzipale Normenkontrolle der Verordnung daher nur erreichen, wenn er ein subjektives Recht darauf geltend machen kann, dass der Verordnungsgeber sein “negatives Betroffensein” in einem privaten Interesse zu berücksichtigen hat. Der “Nachteil”, der sich nach der früheren Rechtslage aus einem qualifizierten Ursachenzusammenhang zwischen Verordnung und Bebauungsplan ergeben mochte, wäre nach der Neufassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegenüber dem Verordnungsgeber nur wehrfähig, wenn er Gegenstand eines gegen diesen gerichteten Rechtsanspruchs sein könnte. Das ist wie ausgeführt nicht der Fall.
Ergänzend ist klarzustellen, dass die unter Geltung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. bejahte Möglichkeit, einen Bebauungsplan mit dem Antrag auf Normenkontrolle anzugreifen, der erst zusammen mit einem weiteren Rechtsakt Belange des Antragstellers beeinträchtigen konnte, infolge der Neufassung der Antragsbefugnis in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht entfallen ist. Das zeigt ein Blick auf die entschiedenen Fälle. Einen die Antragsbefugnis begründenden Nachteil “durch” einen Bebauungsplan sieht der Senat darin, dass die vom Antragsteller geltend gemachte Beeinträchtigung privater Interessen zwar “endgültig” erst durch einen nachfolgenden eigenständigen Rechtsakt eintritt, dieser Rechtsakt jedoch in dem vom Antragsteller angegriffenen Bebauungsplan bereits “als vom Normgeber geplante Folgemaßnahme” angelegt war. Damit werden Konstellationen erfasst, in denen der Bebauungsplan einen Konflikt aufgeworfen, aber nicht ausreichend bewältigt hat, und deshalb absehbar ist, dass im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erlass des Bebauungsplans weitere Maßnahmen zur Konfliktlösung ergriffen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Februar 1991 – BVerwG 4 NB 25.89 – NVwZ 1991, 980: Interesse eines emittierenden Betriebes, vor einschränkenden betrieblichen Anforderungen zu Gunsten der geplanten heranrückenden Wohnbebauung verschont zu bleiben; Beschluss vom 9. Juli 1992 – BVerwG 4 NB 39.91 – NVwZ 1993, 470: Gewerbebetrieb, der seinen Lagevorteil durch straßenverkehrsbehördliche Beschränkungen seines Liefer- und Kundenverkehrs als Folge der Festsetzung einer Fußgängerzone gefährdet sieht; Beschluss vom 13. Dezember 1996 – BVerwG 4 NB 26.96 – NVwZ 1997, 682: Abwehr einer Befreiung für den Bau einer neuen Werkszufahrt, deren Erteilung durch die Änderung der Festsetzungen eines Bebauungsplans ermöglicht wird).
Diese Entscheidungen stufen das mit dem Normenkontrollantrag geltend gemachte Interesse an der Abwehr von Folgemaßnahmen als privaten Belang ein, der in der bauleitplanerischen Abwägung beachtlich ist und dessen Beeinträchtigung einen die Antragsbefugnis begründenden “Nachteil” im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. darstellte. Auf der Grundlage des Senatsurteils vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – (a.a.O.) zum Rechtsanspruch auf gerechte Abwägung öffentlicher und privater Belange gemäß § 1 Abs. 6 BauGB wird die Antragsbefugnis in diesen oder vergleichbaren Fällen in aller Regel zu bejahen sein. Wenn und soweit das Interesse des Antragstellers an der Abwehr planbedingter Folgemaßnahmen zum notwendigen Abwägungsmaterial gehört, wird es von dem durch § 1 Abs. 6 BauGB vermittelten subjektiven Recht auf gerechte Abwägung erfasst, dessen (mögliche) Verletzung die Antragsbefugnis begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Paetow, Halama, Prof. Dr. Rojahn, Gatz, Dr. Jannasch
Fundstellen
Haufe-Index 1120970 |
BVerwGE 2004, 312 |
BauR 2004, 813 |
ZfIR 2004, 267 |
ZUR 2004, 226 |
ZfBR 2004, 377 |
BayVBl. 2004, 665 |
DVBl. 2004, 635 |
ZfW 2005, 129 |
BRS-ID 2004, 15 |
FSt 2004, 761 |
FuBW 2004, 878 |