Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 14.12.2009; Aktenzeichen 23 U 38/09) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, ohne dass es auf den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ankommt.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Die Beschwerdeführerin hat angesichts der von ihr erhobenen und ausgeführten Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör den Rechtsweg nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht ordnungsgemäß erschöpft. Sie hat gegen die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts zwar eine Anhörungsrüge nach § 321a ZPO eingelegt. Eine Verfassungsbeschwerde ist regelmäßig aber auch dann unzulässig, wenn ein an sich gegebenes Rechtsmittel oder ein Rechtsbehelf, durch dessen Gebrauch der behauptete Grundrechtsverstoß hätte ausgeräumt werden können, aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt (stRspr, vgl. BVerfGE 1, 13 ≪14≫; 42, 252 ≪257≫; BVerfGK 1, 222 ≪223≫; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 24. November 2009 – 1 BvR 3324/08 –). Um einen solchen Fall handelt es sich hier.
a) Das Oberlandesgericht hat die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin wegen Verfristung als unzulässig verworfen. Es hat hierzu ausgeführt, dass die zweiwöchige Frist nach § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der seitens des Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin durch Empfangsbekenntnis quittierten Entgegennahme des angefochtenen Berufungszurückweisungsbeschlusses am 16. Dezember 2009 begonnen habe und daher bei Eingang der Anhörungsrüge am 18. Januar 2010 bereits abgelaufen gewesen sei. Soweit die Beschwerdeführerin sich darauf berufe, dass ihr Prozessbevollmächtigter die Beschlussgründe nach Empfang der Entscheidung und erteiltem Empfangsbekenntnis bewusst nicht gelesen, sondern zunächst in Winterurlaub gefahren und erst nach Rückkehr Kenntnis vom Inhalt der Entscheidung und der Gehörsverletzung genommen habe, sei dies unbeachtlich. Denn der Prozessbevollmächtigte habe sich einer Kenntnis bewusst verschlossen; ein solches Verhalten sei einer Kenntnisnahme im Sinne von § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO gleichzusetzen und der Beschwerdeführerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
b) Diese Ausführungen sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Die Verwerfung der Anhörungsrüge als unzulässig verstößt namentlich nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG oder gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht hat die Regelung der Frist zur Erhebung der Anhörungsrüge nicht in einer fehlerhaften oder überraschenden Weise angewandt, durch die der verfassungsrechtlich gebotene (vgl. BVerfGE 107, 395) Schutz gegen Gehörsverletzungen nicht wirksam geworden wäre (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 4. April 2007 – 1 BvR 66/07 –, NJW 2007, S. 2242).
Knüpft eine fachrechtliche Vorschrift an die positive Kenntnis bestimmter Umstände Rechtsfolgen, so entspricht es einhelliger fachgerichtlicher Rechtsprechung, dass ein bewusstes Sich-Verschließen vor Umständen, die sich dem Betroffenen aufdrängen, nach Lage des Falles einer Kenntnis gleichgesetzt werden kann. Übergeht der Betroffene vorsätzlich eine gleichsam auf der Hand liegende Kenntnisnahmemöglichkeit, die jeder andere in seiner Lage wahrgenommen hätte, so ist sein Berufen auf Unkenntnis rechtsmissbräuchlich und verstößt gegen Treu und Glauben (vgl. BGH, NJW 1993, S. 1596 ≪1597≫; NJW 1995, S. 332 ≪333≫; BAG, NZA 2003, S. 453, jeweils zu § 586 ZPO; BGHZ 129, 136 ≪175≫; BGHZ 176, 281 ≪296≫; BGH, WM S. 1989, 1047 ≪1048 f.≫; BGH, NJW-RR 2009, S. 1207 ≪1209≫, jeweils zu § 826 BGB; BGHZ 133, 192 ≪198≫; BGH, NJW 1998, S. 988; BAG, NZA 2003, S. 453; OLG Celle, NJW 1996, S. 2660; vgl. ferner für Fälle einer sogenannten Zugangsvereitelung BGH, NJW 1998, S. 976; BAG, NZA 2006, S. 204). Dementsprechend wird in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und fachrechtlichen Literatur auch für die Frist des § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO angenommen, dass ein bewusstes Sich-Verschließen vor der erforderlichen Kenntnis einen Ausnahmetatbestand darstellt, der den Beginn der Frist für die Einlegung der Anhörungsrüge markiert (OLG Oldenburg, MDR 2009, S. 764; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 321a Rn. 14; Musielak, in: MünchKomm ZPO, 3. Aufl., § 321a Rn. 10; Rensen, MDR 2007, S. 695 ≪697≫; vgl. zu § 78a ArbGG Treber, in: Düwell/Lipke, ArbGG, 2. Aufl., § 78a Rn. 39; Schwab, in: Schwab/Weth, ArbGG, 2. Aufl., § 78a Rn. 18; zu § 152a VwGO Guckelberger, NVwZ 2005, S. 11 ≪13 f.≫).
Eine derartige Auslegung von § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Da sie die Annahme eines bewussten Sich-Verschließens vor einer Kenntnisnahme an enge Voraussetzungen knüpft, respektiert sie die Grundentscheidung des Gesetzgebers, die Frist zur Einlegung der Anhörungsrüge erst mit der tatsächlichen subjektiven Kenntnis des Betroffenen von der Verletzung des rechtlichen Gehörs beginnen zu lassen (vgl. BTDrucks 15/3706, S. 21; 15/3966, S. 6 f.; 15/4061, S. 25; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 4. April 2007 – 1 BvR 66/07 –, NJW 2007, S. 2242 ≪2244≫). Durch eine entsprechende Rechtsanwendung bleibt auch der effektive fachgerichtliche Schutz vor Gehörsverletzungen unberührt, denn der Betroffene ist an einer rechtzeitigen Wahrnehmung fachgerichtlichen Rechtsschutzes gegen die behauptete Verletzung rechtlichen Gehörs tatsächlich nicht gehindert.
Die tatsächliche Bewertung, dass der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin sich im Ausgangsverfahren einer Kenntnis der Gründe der angefochtenen Berufungsentscheidung zunächst bewusst verschlossen hat, ist von Verfassungs wegen gleichfalls nicht zu beanstanden. Da das Oberlandesgericht von anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung im Anschluss an eine herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum Gebrauch gemacht hat, war seine Entscheidung auch nicht überraschend. Die Beschwerdeführerin hätte ihre Rechtsverfolgung im Hinblick auf die ihr verfassungsprozessual obliegende Rechtswegerschöpfung darauf einstellen können und müssen.
2. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde entspricht zudem nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Die Beschwerdeführerin hat weder innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung der angefochtenen Berufungsentscheidung (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) noch innerhalb der Frist des § 93 Abs. 2 Satz 2 und 4 BVerfGG die Ausgangsentscheidung des Landgerichts vorgelegt, deren Inhalt zum Verständnis ihres Beschwerdevorbringens indes unabdingbar war. Die Entscheidung über die unzulässige Anhörungsrüge vermochte die Einlegungs- und Begründungsfrist nicht erneut in Lauf zu setzen (vgl. BVerfGE 91, 93 ≪106≫; 122, 190; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 30. Juni 2009 – 1 BvR 893/09 –, NJW 2009, S. 3710).
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Bryde, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 2337115 |
NJW 2010, 8 |
NJW-RR 2010, 1215 |