Leitsatz (amtlich)
§ 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des Rechtsschutzversicherers.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2 Bf; BRAO § 43a Abs. 5 S. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 03.07.2018; Aktenzeichen 88 S 196/17) |
AG Berlin-Charlottenburg (Entscheidung vom 25.09.2017; Aktenzeichen 237 C 58/16) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der Zivilkammer 88 des LG Berlin vom 3.7.2018 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung eines Zinsschadens und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch.
Rz. 2
Die Klägerin war der Rechtsschutzversicherer des Mandanten R., den die Beklagte in einer Kapitalanlageangelegenheit rechtlich vertrat. Die Klägerin erteilte R. jeweils Deckungszusagen für das Klage-, das Berufungs- und das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren. Sie zahlte Gerichtskosten sowie an die Beklagte insgesamt 6.206,41 EUR. Mit Urteil des BGH vom 10.7.2012 obsiegte R.; dem Prozessgegner wurden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Dies wurde der Klägerin im August 2012 mitgeteilt. Auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse des LG vom 15.10.2012 zahlte der Prozessgegner auf das Konto der Beklagten Anfang November 2012 insgesamt 7.664,70 EUR zzgl. 317,84 EUR Zinsen. Die Beklagte überwies die Summe (7.982,54 EUR) Ende November 2012 an R.
Rz. 3
Im Juni 2015 bat die Klägerin die Beklagte um Mitteilung des Verfahrensstandes. Die Beklagte unterrichtete die Klägerin daraufhin über die Überweisung an R. Auf eine Mahnung der Klägerin gegenüber der Beklagten zahlte R. im August 2015 an die Klägerin insgesamt 7.982,54 EUR.
Rz. 4
Die Klägerin hat von der Beklagten Zinszahlungen i.H.v. 1.081,16 EUR verlangt. Sie meint, die Beklagte hätte die Zahlungen des Prozessgegners auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse spätestens am 20.11.2012 an die Klägerin weiterleiten müssen, so dass ab diesem Zeitpunkt bis zum Zahlungseingang im August 2015 Zinsen aufgelaufen seien.
Rz. 5
Das AG hat die Klage abgewiesen, das LG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, vertragliche Ansprüche, auch aus gem. § 86 VVG übergegangenem Recht, auf Ersatz des Verzögerungsschadens bestünden nicht, weil die Beklagte die Zahlungen des Prozessgegners an R. überwiesen habe, ohne in Schuldnerverzug zu geraten. Es bestehe auch kein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2, 849 BGB i.V.m. § 43a Abs. 5 BRAO, § 4 Abs. 2 BORA. Bei den Vorschriften der § 43a Abs. 5 BRAO, § 4 Abs. 2 BORA handle es sich nicht um Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Klägerin. Es könne dahinstehen, ob es sich um Schutzgesetze zugunsten des Mandanten handle, denn die Klägerin sei trotz des Anspruchsübergangs gem. § 86 VVG nicht in die Rechtsstellung des Mandanten R. gerückt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Person des Empfangsberechtigten, an den der Rechtsanwalt gem. § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO die Fremdgelder weiterzuleiten habe, ausschließlich von dem Mandanten bestimmt werde, der über die Auskehrung der dem Rechtsanwalt anvertrauten Vermögenswerte zu entscheiden habe. Aus dem Vorbringen der Parteien ergebe sich nicht, dass R. die Klägerin als Empfangsberechtigte benannt habe. Durch den Forderungsübergang gem. § 86 VVG werde ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Rechtsschutzversicherer nicht begründet. Allein der Umstand, dass die Auskehrung nunmehr statt vom Mandanten vom Versicherer gefordert werden könne, intendiere keine besondere Schutzbedürftigkeit der Vermögensinteressen des Versicherers.
II.
Rz. 7
Die Revision ist unbegründet.
Rz. 8
1. Im Ergebnis zutreffend und von der Revision nicht angegriffen ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass ein Anspruch auf Ersatz des Zinsschadens unter dem Gesichtspunkt des Verzugs (§§ 286, 288 BGB) nicht in Betracht kommt. Dies liegt allerdings entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht daran, dass die Beklagte die Zahlungen des Prozessgegners auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse, ohne in Schuldnerverzug zu geraten, an R. überwiesen hat. Die Rechtsschutzversicherung ist eine Schadensversicherung, für die § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG gilt (Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 86 Rz. 3). Nach dieser Regelung geht ein dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den Versicherer über, soweit dieser den Schaden ersetzt. Dem Versicherungsnehmer R. stand mit der Klageerhebung ein aufschiebend bedingter Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner zu (vgl. BGH, Urt. v. 22.5.1992 - V ZR 108/91, NJW 1992, 2575, juris Rz. 7). Indem die Klägerin auf die am Ende vom Prozessgegner zu tragenden Kosten des Rechtsstreits Zahlungen erbracht hat, hat sie R. i.S.d. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG einen "Schaden ersetzt." In diesem Umfang ist der Kostenerstattungsanspruch des R. gegen den unterlegenen Prozessgegner auf sie übergegangen. Damit stand der Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagte auf Auskehrung der vom Prozessgegner auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse geleisteten Zahlungen zu. Es kann dahinstehen, ob es sich dabei um einen eigenen Anspruch der Klägerin aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 681 Satz 2, 667 BGB) handelte, weil die Geltendmachung und Entgegennahme der Zahlungen auf die Prozesskosten durch die Beklagte im Hinblick auf den Forderungsübergang gem. § 86 VVG ein objektiv fremdes Geschäft war (so OLG Saarbrücken Saarbrücken, NJW-RR 2008, 696, juris Rz. 43 ff.; Lensing in Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 4. Aufl., § 27 Rechtsschutzversicherung Rz. 111), oder ob zu den gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf den Versicherer übergegangenen Ansprüchen auch der vertragliche Anspruch des R. gegen die Beklagte auf Herausgabe der Prozesskostenzahlungen aus §§ 675 Abs. 1, 667 BGB gehörte (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 2008, 1347, juris Rz. 9; OLG München/LG München I, r+s 1999, 158 f. m. Anm. Kurtzka; Schulz, NJW 2010, 1729, 1730). Die nach beiden Begründungen bestehende Verpflichtung der Beklagten, die Zahlungen des Prozessgegners an die Klägerin weiterzuleiten, scheiterte, anders als das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang meint, nicht daran, dass R. die Klägerin nicht als Empfangsberechtigte bestimmt hatte; denn deren Empfangsberechtigung ergibt sich aus dem Gesetz und stand nicht zur Disposition ihres Versicherungsnehmers. Die Beklagte, die aufgrund der seitens der Klägerin erfolgten Zahlungen über das Bestehen der Rechtsschutzversicherung und den Forderungsübergang informiert war, konnte sich nicht gem. §§ 412, 407 Abs. 1 BGB durch die (versehentliche) Weiterleitung der Gelder an R. von ihrer Leistungspflicht gegenüber der Klägerin befreien.
Rz. 9
Ein Anspruch auf Verzinsung der Geldschuld der Beklagten gegenüber der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Verzugs gem. §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB besteht nur deshalb nicht, weil die Beklagte mangels Mahnung seitens der Klägerin in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum von November 2012 bis August 2015 nicht in Verzug geraten ist. Dass die Voraussetzungen des § 286 Abs. 2 BGB, unter denen eine Mahnung ausnahmsweise entbehrlich ist, vorlagen, ist nicht festgestellt und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht.
Rz. 10
2. Entgegen der Auffassung der Revision kann die Klägerin einen verzugs- und verschuldensunabhängigen Zinsanspruch gegen die Beklagte nicht aus § 668 BGB herleiten. Nach dieser Vorschrift, die gem. § 681 Satz 2 BGB auch auf den hier in Betracht kommenden Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (s. dazu 1.) anwendbar ist, hat der Beauftragte (bzw. Geschäftsführer) das Geld, das er an den Auftraggeber (bzw. Geschäftsherrn) herauszugeben hat, aber stattdessen für sich verwendet, von der Zeit der Verwendung an zu verzinsen. Mit der versehentlichen Weiterleitung der vom Prozessgegner auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse geleisteten Zahlungen an den Mandanten R. statt an die im Hinblick auf § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG berechtigte klagende Rechtsschutzversicherung hat die Beklagte das Geld indes nicht "für sich" verwendet. Soweit in der Literatur der Anwendungsbereich des § 668 BGB auf die Überlassung von Geld an Dritte erstreckt wird (vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 668 Rz. 5; Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl., § 668 Rz. 1; Staudinger/Martinek/Omlor, BGB, Neubearb. 2017, § 668 Rz. 5), kann in einer solchen Überlassung die in dieser Norm vorausgesetzte Verwendung des Geldes durch den Beauftragten bzw. Geschäftsführer "für sich" nur dann gesehen werden, wenn er damit wie ein Berechtigter über das Geld verfügt (vgl. BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 668 Rz. 2), wie dies beispielsweise bei einem Geschenk oder einer Darlehensgewährung an den Dritten der Fall wäre (vgl. zu diesen Beispielsfällen Staudinger/Martinek/Omlor, BGB, Neubearb. 2017, § 668 Rz. 6; zur notwendigen subjektiven Komponente einer Verwendung "für sich" vgl. auch BeckOGK/BGB/Riesenhuber, Stand 1.4.2019, § 668 Rz. 9 ff.). Vorliegend hat sich indes die Beklagte zu keinem Zeitpunkt die Stellung eines Berechtigten über das Geld angemaßt. Sie hat vielmehr die Zahlungen des Prozessgegners, die nach den Kostenfestsetzungsbeschlüssen dem Mandanten R. zustanden, an diesen als ihren Auftraggeber und vermeintlichen Empfangsberechtigten überwiesen. Der Umstand, dass sie dabei das Bestehen der Rechtsschutzversicherung und den Forderungsübergang gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übersehen hat, macht aus der Weiterleitung an den Mandanten keine Eigenverwendung i.S.v. § 668 BGB.
Rz. 11
3. Ohne Erfüllung der Voraussetzungen des Schuldnerverzugs gem. § 286 BGB ließe sich ein Verzinsungsanspruch nach alledem allenfalls aus § 849 BGB herleiten. Hierzu müsste die Klägerin aber neben dem genannten Anspruch aus § 667 BGB (i.V.m. §§ 677, 681 Satz 2 BGB bzw. § 675 BGB, § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG) einen deliktsrechtlichen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der von dem Prozessgegner auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse geleisteten Zahlungen haben, woran es vorliegend fehlt. Der insoweit allein in Betracht kommende Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB scheitert daran, dass die Beklagte kein zugunsten der Klägerin bestehendes Schutzgesetz verletzt hat; insb. stellt § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO kein Schutzgesetz zugunsten des klagenden Rechtsschutzversicherers dar.
Rz. 12
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist eine Rechtsnorm ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des Gesetzes an, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits soll der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Es reicht deshalb nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen (vgl. nur Senat, Urt. v. 13.3.2018 - VI ZR 143/17, BGHZ 218, 96 Rz. 27; v. 22.6.2010 - VI ZR 212/09, BGHZ 186, 58 Rz. 26; BGH, Urt. v. 13.3.2018 - II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 Rz. 14; v. 27.11.1963 - V ZR 201/61, BGHZ 40, 306, juris Rz. 1; jeweils m.w.N.). Ein gesetzliches Gebot oder Verbot ist als Schutzgesetz nur geeignet, soweit das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und bestimmt sind (BGH, Urt. v. 11.12.2018 - II ZR 455/17, MDR 2019, 419 Rz. 32; v. 27.11.1963 - V ZR 201/61, BGHZ 40, 306, juris Rz. 2).
Rz. 13
Voraussetzung für die Annahme eines Schutzgesetzes ist zudem, dass die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint. Dabei muss in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (Senat, Urt. v. 22.6.2010 - VI ZR 212/09, BGHZ 186, 58 Rz. 26, 29; BGH, Urt. v. 13.3.2018 - II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 Rz. 14; jeweils m.w.N.).
Rz. 14
Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB setzt schließlich voraus, dass sich im konkreten Schaden die Gefahr verwirklicht hat, vor der die betreffende Norm schützen sollte. Der eingetretene Schaden muss also in den sachlichen Schutzbereich der Norm fallen. Weiter muss der konkret Geschädigte auch zum Kreis derjenigen Personen gehören, deren Schutz die verletzte Norm bezweckt. Der Geschädigte muss also vom persönlichen Schutzbereich der verletzten Norm erfasst sein (Senat, Urt. v. 9.12.2014 - VI ZR 155/14, VersR 2015, 250 Rz. 10 m.w.N.).
Rz. 15
b) Gemäß § 43a Abs. 5 BRAO ist der Rechtsanwalt bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte zu der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet (Satz 1). Fremde Gelder sind unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen (Satz 2). Der Umgang mit Fremdgeldern und anderen Vermögenswerten ist in § 4 BORA konkretisiert, wobei der Weiterleitung von Fremdgeldern der Vorrang vor deren Verwaltung auf Anderkonten eingeräumt wird (§ 4 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BORA; Scharmer in Hartung/Scharmer, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 6. Aufl., § 4 BORA Rz. 27 f., § 43a BRAO Rz. 117). Da es sich bei der BORA (Berufsordnung) anders als bei der BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung) nicht um ein Gesetz, sondern um autonomes Satzungsrecht eines Berufsstandes handelt, das im Allgemeinen die (privat-)rechtlichen Beziehungen der Rechtsanwälte zu Außenstehenden schon aus verfassungsrechtlichen Erwägungen nicht regeln will und darf, scheidet § 4 BORA als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB aus (vgl. Senat, Urt. v. 28.4.1981 - VI ZR 80/79, VersR 1981, 658, 659, juris Rz. 14, zu einer Berufsordnung für Ärzte). Aber auch § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO ist kein Schutzgesetz zugunsten des Rechtsschutzversicherers.
Rz. 16
aa) Der Wortlaut des § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO gibt keinen eindeutigen Hinweis, ob der Norm eine den jeweiligen "Empfangsberechtigten" schützende Funktion zukommen und ein etwaiger Verstoß dagegen einen deliktischen Schadensersatzanspruch auslösen soll.
Rz. 17
bb) Bei Würdigung des Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm kann eine solche schützende Funktion gegenüber dem Rechtsschutzversicherer ausgeschlossen werden.
Rz. 18
Bei den im ersten Abschnitt des Dritten Teils der Bundesrechtsanwaltsordnung geregelten Pflichten des Rechtsanwalts handelt es sich um berufsrechtliche Pflichten, deren Verletzung berufsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen kann. Die in § 43a BRAO verankerten berufsrechtlichen Grundpflichten sind von elementarer Bedeutung für den Anwaltsberuf. So sind Unabhängigkeit (§ 43a Abs. 1 BRAO) und Sachlichkeit (§ 43a Abs. 3 BRAO) des Rechtsanwalts für die Erfüllung seiner Aufgabe im System der Rechtspflege und damit für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege selbst unerlässlich (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 12/4993, 27). Grundlage des Verbots, widerstreitende Interessen zu vertreten (§ 43a Abs. 4 BRAO), sind der Gesetzesbegründung zufolge (a.a.O.) die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse der Rechtspflege gebotene Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung, ferner das Vertrauensverhältnis zum Mandanten. Letzterem dient auch die Pflicht zur Verschwiegenheit in § 43a Abs. 2 BRAO. Die in § 43a Abs. 5 BRAO geregelte Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts beim Umgang mit fremden Vermögenswerten resultiert ausweislich der Gesetzesbegründung "aus dem vertraglichen Vertrauensverhältnis zu seinem Mandanten und der Erwartung in die uneingeschränkte Integrität des Rechtsanwalts in seiner Stellung als Organ der Rechtspflege. Satz 2 enthält zudem eine ausdrückliche Regelung zum berufsgerechten Umgang mit Fremdgeld" (BT-Drucks. 12/4993, 28). Geschützt wird das allgemeine Vertrauen in die Korrektheit und Integrität der Anwaltschaft in allen finanziellen Fragen und damit zugleich die Funktionsfähigkeit der Anwaltschaft in der Rechtspflege. Dieses Allgemeininteresse rechtfertigt es, die Einhaltung rein zivilrechtlicher Pflichten aus dem Anwaltsvertrag zusätzlich als berufsrechtliche Pflichten auszugestalten und deren Verletzung anwaltsgerichtlich zu ahnden (Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 43a Rz. 219; Träger in Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl., § 43a Rz. 84 f.). Allein der Umstand, dass die "Empfangsberechtigten" i.S.v. § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO als Teil der Allgemeinheit ebenfalls auf die Integrität des Anwalts in finanziellen Fragen vertrauen, begründet entgegen der Ansicht der Revision noch keinen Individualschutz der Norm zu ihren Gunsten. Neben dem Allgemeininteresse werden durch § 43a Abs. 5 BRAO, ebenso wie etwa durch die Verschwiegenheitspflicht des § 43a Abs. 2 BRAO und die Hinweispflicht des § 49b Abs. 5 BRAO, Interessen des Mandanten geschützt, deren Verletzung zu einem vertraglichen Schadensersatzanspruch und bei gleichzeitiger Verletzung von Strafgesetzen, die Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB sind (z.B. §§ 246, 266 StGB), zu einem deliktischen Schadensersatzanspruch führt (vgl. BGH, Urt. v. 24.5.2007 - IX ZR 89/06, NJW 2007, 2332 Rz. 17-19; v. 17.5.2018 - IX ZR 243/17, NJW 2018, 2319 Rz. 16). Es kann dahinstehen, ob es sich bei § 43a Abs. 5 BRAO um ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des Mandanten handelt, dessen Verletzung eine deliktsrechtliche Einstandspflicht nach sich zieht (grundsätzlich verneinend für die berufsrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts: Henssler in Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 5. Aufl., § 43 Rz. 36; bejahend für § 43a Abs. 5 BRAO: OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.10.2003 - I-24 U 79/03, juris Rz. 132). Selbst wenn eine solche gesetzgeberische Tendenz zugunsten des Mandanten bestünde, dürfte sie sachlich nicht den deliktsrechtlichen Schutz gegen eine unverzügliche, aber versehentliche Weiterleitung der Gelder an den falschen - nicht berechtigten - Empfänger umfassen.
Rz. 19
Es gibt jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass § 43a BRAO einschließlich dessen Abs. 5 auch dem individuellen Schutz des Rechtsschutzversicherers dienen soll. Mit diesem verbindet den Rechtsanwalt weder ein Vertrag noch sonst ein besonderes Vertrauensverhältnis. Es ist auch nicht erforderlich (vgl. hierzu Senat, Urt. v. 22.6.2010 - VI ZR 212/09, BGHZ 186, 58 Rz. 29), den aus dem Forderungsübergang des § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG resultierenden Anspruch des Versicherers gegen den Rechtsanwalt auf Weiterleitung von Geldern an ihn als neuen Gläubiger (s.o. 1.) zusätzlich auf eine deliktsrechtliche Grundlage zu stellen.
Rz. 20
cc) § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO gewährt nach alledem dem Rechtsschutzversicherer weder in persönlicher noch in sachlicher Hinsicht deliktsrechtlichen Schutz davor, dass Gelder, die im Hinblick auf den Forderungsübergang des § 86 VVG ihm zustehen, versehentlich an den Mandanten als ursprünglichen Gläubiger ausgekehrt werden (a.A., allerdings ohne Begründung: LG Mönchengladbach, Urt. v. 11.5.2010 - 5 S 74/09, juris Rz. 10).
Rz. 21
4. Darauf, ob, wie die Revisionserwiderung meint, der geltend gemachte Verzinsungsanspruch aus §§ 849, 823 Abs. 2 BGB aus weiteren Gründen versagt werden müsste, kommt es nach alledem nicht an.
Fundstellen
Haufe-Index 13383702 |
BB 2019, 2049 |
DB 2020, 221 |
DStR 2019, 2559 |
DStRE 2020, 955 |
NJW 2019, 3003 |
NWB 2019, 3752 |
EWiR 2020, 17 |
WM 2019, 1701 |
ZIP 2019, 1813 |
ZIP 2019, 69 |
AnwBl 2019, 552 |
JZ 2019, 684 |
MDR 2019, 1283 |
NZI 2020, 71 |
VersR 2019, 1378 |
ZInsO 2019, 1939 |
ZfS 2019, 576 |
AGS 2019, 490 |
NJW-Spezial 2019, 606 |
VK 2020, 2 |
AK 2020, 38 |
BRAK-Mitt. 2019, 248 |
BRAK-Mitt. 2019, 291 |