Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob ein Sozialversicherungsträger, auf den gemäß § 116 Abs. 1 SGB X Schadensersatzansprüche übergegangen sind, im Fall des weiteren Anspruchsübergangs auf einen anderen Sozialversicherungsträger mit Erfolg die Feststellung begehren kann, daß der Schädiger zur Erstattung seiner unfallbedingten Aufwendungen verpflichtet ist, wenn der Geschädigte in Zukunft wieder sein Mitglied werden sollte.
Normenkette
ZPO § 256; SGB X § 116
Verfahrensgang
LG Tübingen |
OLG Stuttgart |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden unter deren Zurückweisung im übrigen die Urteile des Landgerichts Tübingen vom 28. Januar 2000 und des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. Juni 2000 dahingehend abgeändert, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird.
Die Kosten des Revisionsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 1. Mai 1990 stieß der zu diesem Zeitpunkt bei der klagenden LVA versicherte R.S. auf seinem Motorrad mit dem vom Beklagten zu 1) geführten und vom Beklagten zu 2) gehaltenen PKW, welcher bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert war, frontal zusammen. S. wurde hierbei schwer verletzt. Die Verletzungen sind nicht folgenlos verheilt; Spätfolgen, insbesondere eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit, sind nicht ausgeschlossen. Die volle Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen steht zwischen den Parteien außer Streit.
Seit 28. Oktober 1991 ist S. selbständiger Landwirt. Für seine gesetzliche Altersversorgung ist seitdem allein die landwirtschaftliche Alterskasse (LAK) W. zuständig. S. hat weder hinreichende Pflichtbeiträge an die Klägerin entrichtet noch bei ihr die für die jeweiligen Leistungen erforderlichen Wartezeiten erfüllt. Mit Schreiben vom 29. September 1998 verzichtete die Beklagte zu 3) gegenüber der Klägerin hinsichtlich zukünftiger Kosten für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen auf die Einrede der Verjährung.
Mit der Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, daß die Beklagten verpflichtet sind, ihr alle Aufwendungen zu ersetzen, die ihr infolge der unfallbedingten Verletzungen des S. zukünftig entstehen werden. Sie macht geltend, es sei nicht auszuschließen, daß S. in Zukunft eine Tätigkeit aufnehmen werde, die erneut eine Versicherungspflicht bei ihr begründe. In diesem Fall käme eine Leistungspflicht ihrerseits in Betracht. Es bestehe die Gefahr, daß die aus den Verletzungen des S. resultierenden Schadensersatzansprüche zu diesem Zeitpunkt verjährt seien.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält die Klage, soweit Kosten für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen betroffen sind, für unzulässig. Nachdem die Beklagte zu 3) mit Schreiben vom 29. September 1998 insoweit auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe, fehle das Feststellungsinteresse. Ob die Klage auch im übrigen mangels Feststellungsinteresses unzulässig sei, könne dahingestellt bleiben, da sie unbegründet sei. Der Klägerin fehle die Aktivlegitimation. Zwar habe sie ursprünglich gemäß den §§ 116, 119 SGB X die Schadensersatzansprüche des S. erworben. Diese seien jedoch zu dem Zeitpunkt, zu dem sich S. als Landwirt selbständig gemacht habe, auf die LAK als Rechtsnachfolgerin übergegangen. Denn seit diesem Zeitpunkt sei nicht mehr die Klägerin, sondern allein die LAK für Leistungen an S. zuständig. Die Leistungen der Klägerin und der LAK seien auch gleichartig. Erst wenn S. erneut bei der Klägerin rentenversichert werde, könnten dessen Schadensersatzansprüche wieder auf sie übergehen. Die bloße Aussicht, einen Anspruch demnächst zu erwerben, reiche für ein Feststellungsinteresse jedoch nicht aus. Es fehle an einem gegenwärtigen Rechtsverhältnis zwischen den Parteien.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß die Klage unzulässig ist, soweit zukünftige Aufwendungen der Klägerin für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen betroffen sind. Es hätte die Klage jedoch auch im übrigen als unzulässig abweisen müssen.
1. Entgegen der Auffassung der Revision ist es im Grundsatz nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht das Vorliegen des gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresses offengelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1987 – V ZR 285/85 –, NJW 1987, 2808, 2809; BGHZ 12, 308, 316). Auch ein abweisendes Sachurteil darf aber nur ergehen, wenn die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Feststellungsklage erfüllt sind. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Bereits nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin fehlt es sowohl hinsichtlich der Kosten für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen als auch aller weiteren zukünftigen Aufwendungen an einem gegenwärtigen Rechtsverhältnis zwischen den Parteien. Die Behauptung eines solchen ist jedoch besondere Prozeßvoraussetzung der Feststellungsklage (BGH, Urteil vom 7. Juli 1994 – III ZR 137/93 – BGHR ZPO § 256 Abs. 1 Feststellungsinteresse 33; BGH, Urteil vom 20. November 1992 – V ZR 82/91 – BGHR ZPO § 256 Abs. 1 Rechtsverhältnis 6; Senatsurteil vom 5. Juni 1990 – VI ZR 359/89 – BGHR ZPO § 256 Abs. 1 Rechtsverhältnis 4; BGH, Urteil vom 23. September 1987 – IVa ZR 59/86 – BGHR ZPO § 256 Abs. 1 Rechtsverhältnis 1; Senatsurteil vom 22. März 1983 – VI ZR 13/81 – VersR 1983, 724).
Für ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis genügen Beziehungen zwischen den Parteien, die schon zur Zeit der Klageerhebung die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden (BGH, Urteil vom 23. September 1987 – IVa ZR 59/86 – aaO). Nicht ausreichend ist dagegen ein Rechtsverhältnis, das noch nicht besteht, sondern erst in Zukunft unter Voraussetzungen, deren Eintritt noch völlig offen ist, entstehen kann (BGH, Urteil vom 20. November 1992 – V ZR 82/91 – aaO; Senatsurteil vom 5. Juni 1990 – VI ZR 359/89 – aaO). Im Streitfall begehrt die Klägerin in unzulässiger Weise die Feststellung von Rechtsfolgen aus einem erst künftig entstehenden Rechtsverhältnis. Ihr stehen derzeit keine Ansprüche gegen die Beklagten zu. Sie ist insbesondere nicht Inhaberin der dem Geschädigten S. aus dem Unfall vom 1. Mai 1990 erwachsenen Schadensersatzansprüche.
a) Zwar sind diese Ersatzansprüche gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X bereits im Unfallzeitpunkt insoweit auf die Klägerin als die damals zuständige Rentenversicherungsträgerin übergegangen, als deren Inhalt mit ihrer Leistungspflicht kongruent war. Dieser Rechtsübergang erstreckte sich dem Grunde nach auch auf solche Forderungen, die wegen künftig zu erbringender Leistungen der Klägerin erst später entstanden (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 1998 – VI ZR 318/97 – VersR 1999, 382, 383 m.w.N).
b) Am 28. Oktober 1991 hat die Klägerin ihre Gläubigerstellung jedoch verloren. Zu diesem Zeitpunkt sind die Ersatzansprüche entweder auf die LAK übergegangen oder an den Geschädigten S. zurückgefallen. Bei der Klägerin sind in keinem Fall Forderungen verblieben.
aa) Soweit die Versicherungsleistungen der Klägerin und der LAK gleichartig sind, sind die Schadensersatzansprüche von der Klägerin unmittelbar auf die LAK als deren Rechtsnachfolgerin übergegangen. Denn mit der Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs durch S. ist dessen bis dahin bestehende Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung erloschen. Seither ist er allein bei der LAK versichert. Er hat auch keine Anwartschaft bei der Klägerin erworben, da er weder die für die jeweiligen Leistungen erforderlichen Pflichtbeiträge erbracht noch die Wartezeiten erfüllt hat, so daß für weitere Versicherungsleistungen nur noch die LAK zuständig ist. Es entspricht der ständigen Rechsprechung des erkennenden Senats, daß bei einem derartigen Wechsel der versicherungsrechtlichen Leistungszuständigkeit die vom zuerst verpflichteten Sozialversicherungsträger gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X erworbenen Ersatzansprüche kraft Gesetzes auf den nun zuständigen Sozialversicherungsträger übergehen (Senatsurteile vom 8. Dezember 1998 – VI ZR 318/97 – aaO und vom 4. November 1997 – VI ZR 375/96 – VersR 1998, 124, 125 m.w.N.). Voraussetzung für einen solchen Rechtsübergang ist allerdings eine Gleichartigkeit der geschuldeten Versicherungsleistungen (Senatsurteile vom 4. November 1997 – VI ZR 375/96 – aaO und vom 24. Februar 1983 – VI ZR 243/80 – VersR 1983, 536, 537). Ob die von der Klägerin und der LAK zu erbringenden Leistungen gleichartig sind, bedarf indessen keiner Entscheidung.
bb) Denn soweit die aus dem Unfall resultierenden Schadensersatzansprüche nicht von der Klägerin auf die LAK übergegangen sind, sind sie an den Geschädigten S. zurückgefallen. Mit der Beendigung des Sozialversicherungsverhältnisses zwischen S. und der Klägerin und dem damit einhergehenden Wegfall ihrer Leistungspflicht ist die Grundlage für den in § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X angeordneten Forderungsübergang auf sie entfallen. Da eine solche Möglichkeit von Anfang an in Betracht kommt, steht der Rechtsübergang von vornherein unter der auflösenden Bedingung des späteren Wegfalls der Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers (Senatsurteile vom 8. Dezember 1998 – VI ZR 318/97 – aaO, vom 7. Mai 1974 – VI ZR 223/72 – VersR 1974, 966, 968 und vom 3. Mai 1960 – VI ZR 74/59 – VersR 1960, 709; BGHZ 48, 181, 191; RGZ 72, 430, 434). Das hat zur Folge, daß der Geschädigte bei Bedingungseintritt wieder in die Rechte eintritt, ohne daß es einer besonderen Rückübertragung bedarf (§ 158 Abs. 2 BGB).
cc) An diesem Ergebnis ändert sich nichts dadurch, daß S. möglicherweise in Zukunft – sei es zusätzlich zur Versicherung bei der LAK, sei es im Rahmen eines vollständigen Versicherungswechsels – wieder Mitglied bei der Klägerin wird. Zwar weist die Revision zu Recht darauf hin, daß es für einen Rechtsübergang auf einen Sozialversicherungsträger gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X grundsätzlich genügt, wenn dessen Eintrittspflicht auch nur entfernt möglich erscheint (Senatsurteil vom 17. April 1990 – VI ZR 276/89 – VersR 1990, 1028, 1029 m.w.N.). Dies gilt jedoch nur im Rahmen eines bestehenden Sozialversicherungsverhältnisses. Denn andernfalls entbehrte der Forderungsübergang jeder Grundlage (vgl. BGHZ 133, 129, 134; 48, 181, 186; Senatsurteile vom 4. Oktober 1983 – VI ZR 194/81 – VersR 1984, 136 und vom 22. September 1981 – VI ZR 170/80 – VersR 1981, 1180, 1181). Sollte zwischen der Klägerin und S. in Zukunft erneut ein Sozialversicherungsverhältnis entstehen, würde die Klägerin die aus dem Unfall vom 1. Mai 1990 resultierenden Ersatzansprüche möglicherweise zurückerwerben. Dieser Umstand gibt ihr jedoch zur Zeit noch keine Klagemöglichkeit. Die bloße Aussicht, einen Anspruch demnächst zu erwerben, begründet kein gegenwärtiges Rechtsverhältnis.
2. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob wegen des von der Beklagten zu 3) mit Schreiben vom 29. September 1998 erklärten Verjährungsverzichts auch das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Interesse an alsbaldiger Feststellung fehlt, soweit Kosten für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen betroffen sind.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Lepa, Dr. Dressler, Dr. Greiner, Diederichsen
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 13.03.2001 durch Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 584924 |
BGHR 2001, 616 |
NJW-RR 2001, 957 |
Nachschlagewerk BGH |
DAR 2001, 299 |
MDR 2001, 829 |
NZV 2001, 259 |
SGb 2001, 502 |
VRS 2001, 436 |
VersR 2001, 1005 |
ZfS 2001, 253 |
PVR 2001, 286 |