Leitsatz (amtlich)

a) Entscheidet das Beschwerdegericht in einer vom Gesetz dem Kollegium zugewiesenen Sache unbefugt durch den Einzelrichter, so liegt darin eine von Amts wegen zu berücksichtigende Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters, die als absoluter Rechtsbeschwerdegrund zur Aufhebung der Entscheidung führt (im Anschluss an BGHZ 154, 200 = FamRZ 2003, 669 und BGH v. 11.9.2003 - XII ZB 188/02, FamRZ 2003, 1922).

b) Türöffnungskosten, welche der Betreuungsbehörde anlässlich der Vorführung des Betroffenen zu einer Untersuchung entstehen, hat diese selbst zu tragen.

 

Normenkette

GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; FamFG § 68 Abs. 4, § 283

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Beschluss vom 30.01.2013; Aktenzeichen 19 T 168/12)

AG Neuss (Entscheidung vom 13.11.2012; Aktenzeichen 110 XVII G 792)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2) wird der Beschluss der 19. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 30.1.2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Wert: 58 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Mit Schreiben vom 16.12.2011 regte die Beteiligte zu 3) (nachfolgend: Betreuungsbehörde) die Einrichtung einer Betreuung für den Betroffenen an. Dabei äußerte sie die Besorgnis, der Betroffene werde sich aller Voraussicht nach der Begutachtung durch einen Sachverständigen entziehen. Das AG ordnete daraufhin die Zuführung des Betroffenen zum Zweck der Begutachtung an. Die Betreuungsbehörde wurde ermächtigt, bei der Zuführung Gewalt anzuwenden, die Wohnung des Betroffenen zu betreten und sich der Hilfe der polizeilichen Vollzugsorgane zu bedienen.

Rz. 2

Nachdem sich der Sachverständige mehrfach vergeblich um Einlass in die Wohnung des Betroffenen bemüht hatte, zog die Betreuungsbehörde einen Schlüsseldienst hinzu. Dieser vermochte den Betroffenen zu einer freiwilligen Kontaktaufnahme zu bewegen und berechnete für seine Bereitstellung zur Türöffnung brutto 58,31 EUR. Nach weitergehenden Ermittlungen wurde für den Betroffenen eine Betreuung zunächst für die Aufgabenkreise Postangelegenheiten und Behördenangelegenheiten eingerichtet.

Rz. 3

Die Betreuungsbehörde hat die Rechnung des Schlüsseldienstes beglichen und begehrt nunmehr Erstattung dieser Kosten von der Beteiligten zu 2) (nachfolgend: Landeskasse).

Rz. 4

Das AG hat ausgesprochen, dass es sich bei den Kosten des Schlüsseldienstes um Verfahrenskosten handele, die vom Gericht, d.h. von der Landeskasse, zu tragen seien. Die zugelassene Beschwerde des Bezirksrevisors ist vom LG durch die Einzelrichterin zurückgewiesen worden. Zugleich hat die Einzelrichterin die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Landeskasse die Zurückweisung des Erstattungsantrags der Betreuungsbehörde.

II.

Rz. 5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwer der Landeskasse ergibt sich aus der angeordneten Verpflichtung, der Betreuungsbehörde die für die Bereitstellung des Schlüsseldienstes verauslagten Kosten i.H.v. 58,31 EUR zu erstatten.

Rz. 6

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Rz. 7

a) Der angefochtene Beschluss leidet an einem Verfahrensmangel, denn er ist unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen.

Rz. 8

Hat das LG über eine Beschwerde in einer Betreuungssache nach §§ 58 ff. FamFG zu entscheiden, ist hierzu gem. § 68 Abs. 4 Halbs. 1 FamFG i.V.m. § 75 GVG die mit drei Richtern besetzte Zivilkammer berufen (vgl. Keidel/Sternal FamFG 18. Aufl., § 68 Rz. 95). Eine originäre Einzelrichterzuständigkeit (etwa nach § 81 Abs. 6 Satz 1 GNotKG oder § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG) kommt hier nicht in Betracht.

Rz. 9

Eine Übertragung auf den Einzelrichter nach § 68 Abs. 4 FamFG ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt, so dass die Einzelrichterin zur Entscheidung nicht berufen war. Dieser Verfahrensmangel ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Zwar ist ein Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters grundsätzlich nur auf eine entsprechende Besetzungsrüge zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt aber eine Ausnahme im Fall der willkürlichen Zuständigkeitsüberschreitung des originären Einzelrichters, welche einen von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel darstellt (BGHZ 154, 200 = FamRZ 2003, 669, 671 und BGH v. 11.9.2003 - XII ZB 188/02, FamRZ 2003, 1922). Nichts anderes gilt, wenn der Einzelrichter in einer dem Kollegium zugewiesenen Sache ohne einen vorausgegangenen Übertragungsbeschluss der Kammer entscheidet. Denn auch in diesem Fall liegt eine willkürliche Zuständigkeitsüberschreitung vor. Da es an jeder Grundlage für eine Einzelrichterentscheidung fehlt, ist der Fall auch nicht mit einer etwa unzulässigen, aber bindenden Übertragung auf den Einzelrichter vergleichbar (dazu vgl. BGHZ 170, 180 = FamRZ 2007, 554).

Rz. 10

b) Entscheidet der Einzelrichter unbefugt allein, liegt wegen fehlerhafter Besetzung des Gerichts ein absoluter Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegrund i.S.d. §§ 72 Abs. 3 FamFG, 547 Nr. 1 ZPO vor (vgl. BGH, Urt. v. 19.10.1992 - II ZR 171/91, NJW 1993, 600). Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an das LG zurückzuverweisen.

Rz. 11

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Rz. 12

Die Frage der Erstattungsfähigkeit von Türöffnungskosten anlässlich der Vorführung eines Betroffenen durch die Betreuungsbehörde nach § 283 FamFG ist umstritten. Teilweise wird die Betreuungsbehörde insoweit als Vollziehungsorgan des Betreuungsgerichts gesehen. Ihre hierdurch entstandenen Auslagen seien Teil der Gerichtskosten und als solche aus der Landeskasse zu erstatten (vgl. OLG Köln OLGReport Köln 2004, 425 f.; LG Saarbrücken FamRZ 2013, 399; HK-BUR/Walther [Stand: August 2015] § 10 BtBG n.F. Rz. 77 ff. m.w.N.). Die gegenteilige Auffassung lehnt eine Erstattungsfähigkeit angefallener Auslagen auf Seiten der Betreuungsbehörde ab, da diese im Rahmen von § 283 FamFG in originär eigener Zuständigkeit tätig werde (vgl. LG Frankenthal Beschl. v. 27.7.2009 - 1 T 144/09 - juris Rz. 10 ff.; LG Koblenz FamRZ 2004, 566; LG Freiburg Beschl. v. 14.10.2002 - 4 T 212/02 - juris Rz. 7 f.).

Rz. 13

Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu. Eine Betreuungsbehörde, die einen Betroffenen zum Zweck der Begutachtung nach § 283 FamFG vorführt, nimmt eine originär eigene Aufgabe i.S.v. § 8 Abs. 1 Satz 1 BtBG wahr und hat demzufolge die hierdurch verursachten Kosten selbst zu tragen. Angesichts der spezialgesetzlich geregelten Aufgabenzuweisung in § 283 FamFG kann insb. nicht von einem Tätigwerden der Betreuungsbehörde im Wege der Amtshilfe ausgegangen werden (vgl. BGHZ 148, 139 = NJW 2001, 2799).

 

Fundstellen

Haufe-Index 9034450

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