Wenn sich der Nachbar durch ein Bauvorhaben auf einem angrenzenden Grundstück subjektiv beeinträchtigt fühlt, kann er sich nicht in jedem Fall dagegen wehren. Soweit Baurechtsvorschriften keine nachbarschützende Wirkung zukommt, weil sie im öffentlichen Interesse bestehen, muss er die Baumaßnahme dulden. Dies können zum Beispiel Vorschriften des Natur- und Denkmalschutzes sein oder Regelungen, die die bauliche Gestaltung einer Anlage betreffen. Sogar wenn dem Nachbarn durch das Bauvorhaben die freie Aussicht genommen wird, kann er sich nicht gegen das Bauvorhaben wehren, es sei denn, eine Grunddienstbarkeit wäre davon betroffen.

 
Praxis-Beispiel

Kein Recht auf schöne Aussicht

Eine Gemeinde stellte im Ortsrandbereich einen Bebauungsplan auf. Das Plangebiet war bisher unbebaut und wurde zum Bauland erklärt. Ein Eigentümer, der nun am Rand des Neubaugebiets wohnte, klagte gegen den Bebauungsplan. Doch umsonst. Es gibt kein Recht auf eine schöne Aussicht, entschieden die Richter des BVerwG[1] Niemand könne verlangen, dass ein fremdes Grundstück aus diesem Grund unbebaut bleibe.

Ebenso entschieden die Gerichte, wenn es darum geht, Einsichtsmöglichkeiten auf das eigene Grundstück vom Nachbarn aus zu unterbinden: Weder ist eine Abwehr gegen Einsichtsmöglichkeiten noch gegen eine Verschattung durch einen Neu- oder Anbau gegeben.

Ein Nachbar hat insbesondere keinen Anspruch darauf, dass ihm Freiflächen verbleiben, die den Blicken Dritter entzogen sind, entschied das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen.[2] In dem zu entscheidenden Fall genehmigte die zuständige Behörde die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit drei Wohneinheiten in einer Gemeinde in Nordrhein-Westfalen. Die Eigentümer des benachbarten und mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks erhoben gegen die Baugenehmigung Klage. Denn das Bauvorhaben führe zu einer Einsichtsmöglichkeit auf ihr Grundstück und es läge somit ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor. Tatsächlich gewährten die im Bauvorhaben geplanten Fenster im ersten Obergeschoss und im Dachgeschoss sowie die umlaufende Dachterrasse einen Blick in Fenster des Wohnhauses der Kläger sowie auf ihre Terrasse und in den Gartenbereich.

Das Oberverwaltungsgericht entschied zugunsten der beklagten Bauherren und verneinte einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Gewähren Fenster, Balkone oder Terrassen eines neuen Gebäudes beziehungsweise Gebäudeteils den Blick auf ein Nachbargrundstück, sei deren Ausrichtung, auch wenn der Blick von dort in einen Ruhebereich des Nachbargrundstücks fällt, nicht aus sich heraus rücksichtslos. Es sei in bebauten Gebieten üblich, dass infolge einer solchen Bebauung erstmals oder zusätzlich Einsichtsmöglichkeiten entstehen. Nach ständiger Rechtsprechung der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts sei dies regelmäßig hinzunehmen. Der Eigentümer oder Nutzer eines Grundstücks könne nicht beanspruchen, dass ihm auf den Freiflächen seines Grundstücks ein den Blicken Dritter entzogener Bereich verbleibt.

Auch Verschattungen einer Photovoltaikanlage, die durch das Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück entstehen, sind bei Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen hinzunehmen.[3]

Wird das Nachbargrundstück baurechtswidrig genutzt, kann der Nachbar ebenfalls nichts unternehmen. Das fällt in den Zuständigkeitsbereich der Bauaufsichtsbehörden, die dann von Amts wegen einschreiten. Nicht einmal Krankheit oder Überempfindlichkeit der Nachbarn gelten als Gründe, die einen Widerspruch rechtfertigen. Ein nachbarrechtlicher Schutz besteht nur dann, wenn die Nachbarn objektiv beeinträchtigt werden.

[1] BVerwG, Urteil v. 22.8.2000, 4 BN 38.00, BauR 2000, 1834.
[2] OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 7.12.2020, 10 A 179/20.
[3] OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 17.12.2020, 7 B 1616/20.

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