a) Überblick

 

Tz. 2

§ 246 HGB konstituiert mit dem Vollständigkeitsgebot (Abs. 1) und dem Verrechnungsverbot (Abs. 2) zwei zentrale Vorgaben für den Jahresabschluss. Dieser muss zum einen vollständig sein, nämlich alle Vermögensgegenstände (vgl. Tz. 27 ff.), Schulden (vgl. Tz. 59 ff.), Rechnungsabgrenzungsposten (vgl. Tz. 118), Aufwendungen und Erträge (vgl. Tz. 17) enthalten. Ausnahmen ergeben sich insbes. aus § 248 HGB. Was nicht die Voraussetzungen eines Vermögensgegenstandes oder einer Schuld erfüllt, darf in der Bilanz nicht angesetzt werden. Zum anderen dürfen Vermögensgegenstände und Schulden, Aufwendungen und Erträge nicht miteinander verrechnet werden. Abs. 3 normiert das Gebot der Ansatzstetigkeit.

 

Tz. 3

Abs. 1 Satz 2 und 3 betreffen das Problem der subjektiven Zuordnung von Vermögensgegenständen und Schulden. Vermögensgegenstände sind grundsätzlich in der Bilanz des rechtlichen Eigentümers auszuweisen, außer wenn sie wirtschaftlich einem anderen zuzurechnen sind; Schulden gehören in die Bilanz des Schuldners. Abs. 1 Satz 4 enthält eine Fiktion: Der derivativ erworbene Geschäfts- oder Firmenwert wird wie ein Vermögensgegenstand behandelt, obwohl er keiner ist. Das Verrechnungsverbot des Abs. 2 ist bereits eine Konkretisierung des Vollständigkeitsgebots und dient der Klarheit und Übersichtlichkeit des Jahresabschlusses. Abs. 2 Satz 2 und 3 bestimmen Ausnahmen für Altersversorgungsverpflichtungen.

b) Entstehungsgeschichte

 

Tz. 4

Das Vollständigkeitsgebot ist Ausfluss des Grundsatzes der Bilanzwahrheit und -richtigkeit und damit schon lange zentrales Element jeder Bilanz.[1] Vorläufer der heutigen Regelung finden sich in Art. 28 ADHGB 1861, § 40 HGB 1897. Die Normierung in § 246 Abs. 1 HGB erfolgte durch das BiRiLiG 1985. Die EU-Bilanzrichtlinie setzt das Vollständigkeitsgebot stillschweigend voraus.[2] Der Grundsatz der wirtschaftlichen Zurechnung in Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz ist in dieser Ausgestaltung seit dem BilMoG § 39 AO nachgebildet, die a. F. nannte in Anlehnung an Art. 8 der EG-Bankbilanzrichtlinie einzelne Sicherungsrechte als Fälle, in denen statt dem rechtlichen (Sicherungs-)Eigentum die wirtschaftliche Zurechenbarkeit für den Bilanzansatz maßgeblich sein sollte;[3] das darin liegende allgemeine Prinzip der Bilanzierung beim wirtschaftlich Berechtigten hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung nachvollzogen.

 

Tz. 5

Das Verrechnungsverbot war zunächst als GoB anerkannt und wurde 1965 für die AG in § 152 Abs. 8 AktG verankert. Seit dem BiRiLiG findet es sich normiert für alle Kaufleute in Abs. 2, die europarechtliche Grundlage bildet Art. 6 Abs. 1 g) EU-Bilanzrichtlinie. Die Verrechnung zur Bildung sog. Planvermögen gestattet Abs. 2 Satz 2 seit dem BilMoG und dient der Umsetzung des true and fair view-Gebots sowie einer Annäherung an die IFRS;[4] die EU-Bilanzrichtlinie nennt die Verrechnungsmöglichkeit zu diesem Zwecke in Erwägungsgrund 9.

[1] Leffson, GoB, 219 f.
[2] ADS, § 246 HGB Rn. 3; Hennrichs, in: MüKo-BilR, § 246 HGB Rn. 8.
[3] ADS, § 246 HGB Rn. 3; Kleindiek, in: GroßKo-HGB, § 246 HGB Rn. 2.
[4] Kleindiek, in: GroßKo-HGB, § 246 HGB Rn. 4; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 246 HGB Rn. 26.

c) Geltungsbereich

 

Tz. 6

Die Vorschrift gilt für alle bilanzierungspflichtigen Kaufleute. Sie ist in der geltenden Fassung gem. Art. 66 Abs. 3 EGHGB zwingend anzuwenden auf alle Geschäftsjahre, die nach dem 31.12.2009 beginnen. Hinsichtlich der Aktivierungspflicht für den derivativen Geschäfts- oder Firmenwert gilt dies jedoch nur, sofern der betreffende Wert nach dem 31.12.2009 erworben wurde.

d) Rechtspolitische Diskussion und Entwicklungsperspektiven

 

Tz. 7

Ausgehend davon, dass der Begriff des Vermögensgegenstandes nicht näher gesetzlich konkretisiert ist, kreist die Diskussion seit Jahren um seine Definition. Zugleich verwendet das Steuerrecht statt Vermögensgegenstand den Begriff Wirtschaftsgut. Die Rechtsprechung des BFH versteht beide ausdrücklich synonym.[5] Tatsächlich sind die Perspektiven des Handels- und des Steuerrechts durchaus verschieden.[6] Während die Rechtsprechung für die Aktivierbarkeit eines Gutes auch weiterhin darauf abstellt, ob dieses selbständig bewertbar ist,[7] geht jedenfalls seit dem BilMoG die wohl überwiegende handelsrechtliche Literatur[8] in Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung[9] davon aus, dass eine selbständige Verwertbarkeit erforderlich ist. Die Unterschiede sind praktisch selten relevant, aber auch nicht vollständig zu vernachlässigen.[10] Zudem ist jedenfalls im Hinblick auf immaterielle Vermögensgegenstände umstritten, ab welchem Zeitpunkt des Herstellungsvorgangs ein aktivierbarer Vermögensgegenstand vorliegt. Ausgangspunkt ist auch hier die Regierungsbegründung zum BilMoG, welche einen Ansatz schon dann für möglich erachtet, wenn die Entstehung eines aktivierbaren Vermögensgegenstandes mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.[11] Die Praxis orientiert sich an der Rechtsprechung des BFH.

 

Tz. 8

Ein weiteres Spannungsverhältnis besteht zum Assetkonzept nach IFRS, das selbst nicht für alle Arten von Vermögenswerten einheitlich ist. Nach dem Framework[12] ist Voraussetzung für...

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