Rn. 1

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Der Grundsatz der Vollständigkeit ist im Ersten Abschnitt des Dritten Buchs des HGB geregelt, der die Vorschriften für alle Kaufleute beinhaltet. Hier stellt er den Zweiten Titel des Zweiten Unterabschnitts (Eröffnungsbilanz; JA) dar, der in den §§ 246251 die Ansatzvorschriften zum Inhalt hat. Im Unterschied zur früher gültigen Regelung des § 40 Abs. 2 HGB 1980 bezieht sich der Vollständigkeitsgrundsatz neben der Bilanz auch auf die GuV; ferner wird explizit das Erfordernis der vollständigen Bilanzierung von RAP hervorgehoben. Aus dem Nebensatz ("soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist") ergibt sich eine Einschränkung des Vollständigkeitsgebots i. d. S., dass einerseits die Wahrnehmung gesetzlich eingeräumter Wahlrechte nicht eingeschränkt wird (vgl. BT-Drs. 10/4268, S. 97), und dass andererseits Bilanzierungsverbote zu beachten sind (vgl. Coenenberg/Haller/Schultze (2021), S. 27, 90ff.; HB-RP (1995), § 246 HGB, Rn. 4). Damit der JA den Vollständigkeitskriterien des § 246 gerecht werden kann, ist es erforderlich, dass die Eintragungen in den Büchern und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen entsprechend der Vorschrift des § 239 Abs. 2 vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorgenommen werden (vgl. HdR-E, HGB § 239, Rn. 4ff.), und dass die VG und Schulden vollständig im Inventar i. S. v. § 240 Abs. 1 erfasst werden (vgl. HdR-E, HGB § 240, Rn. 16ff.).

 

Rn. 2

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Das Vollständigkeitsgebot im JA betrifft nur die mengenmäßige Berücksichtigung bestimmter Sachverhalte, d. h. die Frage, ob bestimmte Gegenstände und Schulden bzw. Aufwendungen und Erträge angesetzt werden müssen, wohingegen für Fragen der vollständigen Werterfassung ausschließlich die jeweiligen Bewertungsvorschriften maßgebend sind (vgl. HB-RP (1995), § 246 HGB, Rn. 9; Beck Bil-Komm. (2022), § 246 HGB, Rn. 3). Der Vollständigkeitsgrundsatz beinhaltet auch den Ausweis voll abgeschriebener VG mindestens mit einem Merkposten, sofern unter dem betreffenden Bilanzposten keine weiteren VG zu registrieren sind; der Ausweis eines Merkpostens ist dabei auch für mehrere VG, die zum gleichen Bilanzposten gehören, zulässig (vgl. ADS (1998), § 246 HGB, Rn. 78; MünchKomm. AktG (1973), § 149, Rn. 45). Als Merkposten gilt es 1 EUR anzusetzen, denn dieser Betrag ist als Merkposten eingebürgert, weshalb andere Beträge nicht sofort als solche erkennbar wären (vgl. MünchKomm. AktG (1973), § 149, Rn. 45). Bei nicht ausgeübten Bilanzierungswahlrechten sowie bei Bilanzierungsverboten entfallen auch die Merkposten (vgl. ADS (1998), § 246 HGB, Rn. 77; WP-HB (2012/I), Rn. E 16).

Nicht nur buchungspflichtige Vorfälle, sondern auch darüber hinaus bestehende, für den JA insgesamt relevante Sachverhalte unterliegen dem Vollständigkeitsgebot: Damit müssen die in § 251 angegebenen Haftungsverhältnisse unter dem Strich der Bilanz, bzw. bei KapG und haftungsbeschränkten PersG i. S. d. § 264a im Anhang, angegeben werden (vgl. §§ 251, 268 Abs. 7; sodann HdR-E, HGB § 268, Rn. 225ff., und HdR-E, HGB § 251; bezüglich der Neuregelung durch das BilRUG auch BilRUG-Komm. (2015), § 268 HGB, Rn. 14ff., sowie Oser/Orth/Wirtz, DB 2015, S. 1729, (1735)). Macht eine Kleinst-KapG i. S. d. § 267a von ihrem Wahlrecht Gebrauch und verzichtet auf die Erstellung eines Anhangs, hat auch diese entsprechende Angaben unter dem Strich der Bilanz zu machen (vgl. § 264 Abs. 1 Satz 5). Außerdem sind Anhangangaben über Art, Zweck, Chancen, Risiken und finanzielle Auswirkungen nicht bilanzierter Geschäfte (vgl. § 285 Nr. 3; bspw. Forderungsverbriefungen, Leasinggeschäfte) sowie über den Gesamtbetrag der nicht bilanzierten und auch gemäß der §§ 251, 268 HGB nicht erfassten Verbindlichkeiten (vgl. § 285 Nr. 3a; bspw. Verpflichtungen aus schwebenden Geschäften, gesellschaftsrechtliche Verpflichtungen) zu machen. Der Anhang selbst unterliegt zwar nicht ausdrücklich dem Vollständigkeitsgebot des § 246; da er aber nach § 264 Abs. 1 einheitlicher und gleichwertiger Bestandteil des JA von KapG bzw. PersG i. S. d. § 264a ist, gilt auch für ihn das Vollständigkeitsgebot uneingeschränkt. Die Vorschrift des § 284 Abs. 2 Nr. 1, die eine Angabepflicht für die auf die "Posten der Bilanz und der GuV angewandten Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden" ­vorsieht, umfasst auch eine Gewährung von Informationen über die Ausübung von ­Aktivierungs- und Passivierungswahlrechten (vgl. HdR-E, HGB §§ 284–288, Rn. 86ff.). Insofern erfüllt der Anhang – der seinerseits dadurch, dass er alle gesetzlich vorgeschriebenen Erläuterungen und Einzelangaben zu enthalten hat, vollständig sein muss – eine Ergänzungsfunktion im Zusammenhang mit der Vollständigkeit von Bilanz und GuV.

 

Rn. 3

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Aus dem Vollständigkeitsgebot kann auch die in § 252 Abs. 1 Nr. 4 enthaltene Forderung nach Berücksichtigung werterhellender Tatsachen – nicht wertbeeinflussender Tatsachen, die erst nach dem BilSt eintreten und die nach der Situation am Abschlussstichtag nicht zu erwarten ware...

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