dd1) Grundsatz der Bilanzklarheit und Übersichtlichkeit (§ 243 Abs. 2 HGB)

 

Tz. 108

Die Vorschrift des § 243 Abs. 2 HGB (inhaltlich entsprechend Art. 4 Abs. 2 Jahresabschlussrichtlinie 2013 und Art. 2 Abs. 2 der Jahresabschlussrichtlinie 1978) gilt für alle Kaufleute und regelt mit den Geboten der Klar­heit und Übersichtlichkeit die äußere Gestaltung für alle Teile des Jahresabschlusses.[255] Das Ge­bot der Klar­heit bezieht sich auf die Be­griffs­verwendung im Jahresabschluss und den sach­ver­ständigen Dritten als Jahres­abschluss­adres­saten (§ 238 Abs. 1 Satz 2 HGB). Es ver­langt, dass alle Ele­mente des Jah­resabschlusses ihre Inhalte durch ein­deu­tige Be­zeich­nun­gen für die einzelnen Po­sitio­nen zweckgemäß er­schließen und bezogen auf die Bi­lanz­adres­sa­ten, Irrtümer und Miss­verständnisse vermieden werden.[256] Deshalb müssen die ge­wähl­ten Be­griffe und Bezeich­nun­gen den Sachverhalt im Empfängerhorizont des (deutschspra­chi­gen, vgl. § 244 HGB) sachver­stän­digen Dritten sprach­lich möglichst kon­kret und nach­voll­zieh­bar abbil­den. Für Sachverhalte, die ein sachverständiger Dritter unter­schei­den würde, müs­sen verschie­dene Bezeichnungen ver­wendet werden, ebenso wie gleiche Sachverhalte in allen Ele­menten des Jahresab­schlus­ses gleich bezeichnet werden müssen. Das Gebot der Klarheit ist ein GoB. Die Vorschrift entspricht § 129 AktG 1937, § 149 Abs. 1 AktG 1965 und Art. 4 Abs. 2/2 Abs. 2 Jahresabschlussrichtlinie 2013/1978.

Aus dem Grundsatz der Bilanzklarheit folgt erstens, dass die Bezeichnungen der Bilanz­posten und die Bilanzgliederung dem Zweck gerecht werden müssen, einem sach­ver­stän­digen Dritten einen raschen Einblick in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu ermög­li­chen. Daraus ergeben sich Grundsätze der sachgerechten Gliederung für Kauf­leute, für die weder nach § 266 HGB noch branchen- oder rechtsformspezifische speziellere Gliederungs­vor­schrif­ten gelten. Diese Grundsätze speisen sich aus der Verkehrserwartung. Das Glie­de­rungs­schema gem. § 266 HGB entspricht einer ver­breiteten Ver­kehrs­erwartung auch für Einzel­kauf­leute und Personenhandelsgesellschaften.[257] Sachge­recht ist daher nur eine den Grund­sätzen gem. § 265 HGB und der Grundform gem. § 266 HGB entsprechende Gliederung, deren Bezeich­nungen zur Ver­meidung von Irre­füh­rungen zu über­nehmen sind.[258] Größenab­hängig kann in diesem Schema bei Einzelkaufleuten und Per­sonenhandelsgesellschaften, die nicht unter § 264a HGB (§ 264a HGB) fallen, entweder nur die Grund­information gem. § 247 Abs. 1 HGB abgebildet oder das für Kleinstkapitalgesellschafen geltende verkürzte Schema verwendet werden. Das schließt nicht aus, dass im Ein­zelfall auch eine andere Gliederungs­form sachgerecht sein kann (§ 265 Abs. 6 HGB).[259] Das Gliederungsschema kann erweitert werden.[260] Für die einzel­nen Posten sind dann hinreichend bestimmte und sachlich zutreffende Bezeichnungen zu ver­wen­den. Für vergleichbare Sachverhalte sind gleiche, für unterschiedliche Sachverhalte ver­schie­dener Bezeichnungen zu wählen.[261]

 

BEISPIEL

Es verstößt gegen den Grundsatz der Bilanzklarheit, wenn halbfertige Erzeugnisse und Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe gemeinsam ausgewiesen werden.

Aus dem Grundsatz der Bilanzklarheit folgt zweitens ein Verschlei­e­rungsverbot, aus dem sich wiederum das Saldierungsverbot ("Bruttoprinzip", vgl. § 246 Abs. 2 HGB), die Ver­pflichtung, den Jah­res­abschluss in deutscher Sprache und in Euro auszustellen, (§ 244 HGB), ein Verän­de­rungsverbot (vgl. § 239 Abs. 3 HGB), sowie ein Gebot ergeben, die Bilanz­glie­derung und die verwendeten Bezeichnungen beizubehalten.[262]

Ausnahmen vom Saldierungsverbot rechtfertigen zum einen die Grundsätze der Wirtschaft­lichkeit und Wesentlichkeit, zum Beispiel in Gestalt der Bewertungsvereinfachung durch Grup­pen­be­wer­tung nach § 240 Abs. 4 HGB. Zum anderen regelt das Gesetz selbst zahlreiche Aus­nahmen des Saldierungsverbots (vgl. Kapitel 5).

[255] Kleindiek, in: MüKo-BilR, § 243 HGB Rn. 12; Pöschke, GroßKo-HGB, § 243 HGB Rn. 21.
[256] Castan, in: Beck HdR, B 141 Rn. 11: Sicht eines durchschnittlichen Bilanzlesers, Übliche Inhalte der Begriffe.
[257] Förschle/Usinger, in: BeckBilKo, § 243 HGB Rn. 55.
[258] Förschle/Usinger, in: BeckBilKo, § 243 HGB Rn. 56; Pöschke, in: GroßKo-HGB, § 243 HGB Rn. 26; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 243 HGB Rn. 4.
[259] Förschle/Usinger, in: BeckBilKo, § 243 HGB Rn. 56.
[260] Förschle/Usinger, in: BeckBilKo, § 243 HGB Rn. 61.
[261] Baetge/Fey/Fey/Klönne, in: HdR, § 243 HGB Rn. 47.
[262] Förschle/Usinger, in: BeckBilKo, § 243 HGB Rn. 65.

dd2) Grundsatz der Bilanzwahrheit und Vollständigkeit

 

Tz. 109

Der Grundsatz der Bilanzwahrheit und Vollständigkeit besagt, dass der Jahresabschluss nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung und den vorrangigen gesetzlichen Bilanzie­rungsvorschriften nichts Falsches enthalten darf und vollständig sein muss. Nicht gemeint ist eine an über­po­sitiv-naturrechtlichen, ausländischen oder internationalen Rechnungs­legungs­standards be­mes­sene ("objektive") Wahrheit.[263] Die GoB verstehen Wahrheit als Pflicht und enthalten deshalb einen no...

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