Tz. 67

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Ersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber einem Vorstandsmitglied hat der insoweit gemäß § 112 AktG zuständige AR grds. zu verfolgen. Er darf davon nur dann ausnahmsweise absehen, wenn gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls dagegensprechen und diese Gründe die für eine Rechtsverfolgung sprechenden überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig sind (vgl. BGH, Urteil vom 21.04.1997, II ZR 175/95, BGHZ 135, S. 244 (254ff.); BGH, Urteil vom 18.09.2018, II ZR 152/17, NZG 2018, S. 1301 (1302ff.); Kau/Kukat, BB 2000, S. 1045 (1046); indes auch Goette, ZHR 176 (2012), S. 588ff.). Ein Ersatzanspruch der Gesellschaft kann allerdings nach § 93 Abs. 4 AktG ausgeschlossen sein. Der Gesellschaft gegenüber tritt die Ersatzpflicht des § 93 Abs. 2 bzw. 3 AktG nicht ein, wenn das Verhalten eines Vorstandsmitglieds auf einem gesetzmäßigen Beschluss der HV beruht (vgl. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG). Darüber hinaus kann die Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft durch einen Verzicht oder Vergleich unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 4 Satz 3f. AktG sowie durch sonstige Verfügungen über den Schadensersatzanspruch ausgeschlossen sein. Abweichendes gilt für die Ersatzpflicht der Vorstandsmitglieder gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft nach § 93 Abs. 5 Satz 3 AktG (vgl. HdR-E, AktG § 93, Rn. 79).

I. Beschluss der Hauptversammlung

 

Tz. 68

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Grund für die Haftungsfreistellung des Vorstandsmitglieds gegenüber der Gesellschaft nach § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG bei einem gesetzmäßigen Beschluss der HV ist die Regelung des § 83 Abs. 2 AktG. Danach ist der Vorstand verpflichtet, die von der HV im Rahmen ihrer Zuständigkeit getroffenen Beschlüsse auszuführen. Soweit den Vorstand eine solche Ausführungspflicht trifft, kann eine Haftung nicht in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2018, II ZR 24/17, NJW 2018, S. 3574 (3577)).

 

Tz. 69

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Erforderlich ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ein förmlicher HV-Beschluss. Nicht ausreichend sind hingegen Meinungsäußerungen der HV oder von (Mehrheits-)Aktionären. Selbst die Zustimmung eines Alleinaktionärs steht einem förmlichen HV-Beschluss nicht gleich. Allenfalls in Ausnahmefällen kann die Inanspruchnahme des Vorstandsmitglieds trotz Einwilligung des Alleinaktionärs rechtsmissbräuchlich i. S. d. § 242 BGB sein (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2018, II ZR 24/17, NJW 2018, S. 3574 (3577); strenger OLG Köln, Urteil vom 25.10.2012, 18 U 37/12, AG 2013, S. 396). Auch eine Billigung durch den AR genügt gemäß § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG nicht. Der HV-Beschluss muss vor der Vornahme der Maßnahme durch den Vorstand gefällt worden sein. Ein nachträglicher Beschluss reicht dagegen grds. nicht aus. Nach überwiegender Meinung kann sich der Vorstand auch nicht darauf berufen, die HV hätte die Maßnahme gebilligt, wenn sie gefragt worden wäre (vgl. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 150; AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 479ff.; MünchKomm. AktG (2019), § 93, Rn. 279). Der Beschluss muss hinreichend konkretisiert sein. Erforderlich ist zwar nicht, dass der Beschluss eine ausdrückliche Anweisung an den Vorstand enthält. Der Beschluss muss allerdings zumindest konkludent den auf ein bestimmtes Verhalten des Vorstands gerichteten Willen der HV zum Ausdruck bringen. Nicht ausreichend ist hingegen eine bloße Ermächtigung des Vorstands zu einem bestimmten Verhalten (vgl. MünchKomm. AktG (1973), § 93, Rn. 50; BeckOGK-AktG (2021), § 93, Rn. 318f.).

 

Tz. 70

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Der Beschluss der HV muss gesetzmäßig sein. Dies ist der Fall, wenn er weder nichtig noch anfechtbar ist. Ein nichtiger Beschluss liegt insbesondere auch bei einem Beschluss der HV vor, für den diese nicht zuständig ist. Über die in die grds. Zuständigkeit des Vorstands fallenden Geschäftsführungsmaßnahmen darf die HV nur entscheiden, wenn der Vorstand dies verlangt (vgl. § 119 Abs. 2 AktG), so dass ein ohne ein solches Verlangen gefällter Beschluss nichtig ist (vgl. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 155; Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 154f.). Allerdings können nichtige Beschlüsse nach § 242 AktG heilen und anfechtbare Beschlüsse werden durch Ablauf der Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG unanfechtbar. Ob die Beschlüsse dadurch zu gesetzmäßigen Beschlüssen i. S. d. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG werden und damit das Vorstandsmitglied entlasten, ist umstritten. Nach überwiegender und zutreffender Meinung werden sowohl anfechtbare Beschlüsse mit ihrer Unanfechtbarkeit als auch nichtige Beschlüsse mit ihrer Heilung gesetzmäßig. Es entspricht dem Gebot der Rechtssicherheit und der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung innerhalb einer AG, dass der Vorstand grds. zur Ausführung von Beschlüssen der HV nach § 83 Abs. 2 AktG verpflichtet ist und nur im Ausnahmefall davon abweichen kann (vgl. BGH, Urteil vom 06.10.1960, II ZR 150/58, BGHZ 33, S. 175 (178f.); AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 481ff.; Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 153ff.; a. A. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 155f.; MünchKomm. AktG (1973), § 93, Rn. 48). Die Beweislast für das V...

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