Rn. 18

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Materiell setzt § 315 Satz 2 AktG das Vorliegen von Tatsachen voraus, die den Verdacht einer pflichtwidrigen Nachteilszufügung (vgl. zum Begriff der Nachteilszufügung MünchKomm. AktG (2020), § 315, Rn. 17) rechtfertigen. Damit knüpft der Gesetzgeber sprachlich und sachlich an die Vorgaben des § 142 Abs. 2 AktG an, so dass die dort entwickelten Auslegungsgrundsätze herangezogen werden können (vgl. ebenso KonzernR (2022), § 315 AktG, Rn. 10). Erforderlich ist zunächst ein hinreichend greifbarer Sachvortrag, der auf eine nicht ausgeglichene Nachteilszufügung hindeutet. Bloße Verdächtigungen oder Vermutungen reichen nicht aus; vielmehr müssen konkrete Tatsachen vorgetragen werden, die bei einem unbefangenen Betrachter einen entsprechenden Verdacht hervorrufen können (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.08.2001, 20 W 135/01, OLG-Report Frankfurt 2001, S. 279 (281); Hüffer-AktG (2022), § 315, Rn. 3c). Die entfernte Möglichkeit einer Unregelmäßigkeit genügt nicht. Für eine Nachteilszufügung muss also zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit sprechen (vgl. OLG München, Beschluss vom 08.06.2011, 31 Wx 81/10, ZIP 2011, S. 1364 (1365); OLG Stuttgart, Beschluss vom 15.06.2010, 8 W 391/08, NZG 2010, S. 864 (865); ferner (i. R.d. allg. Sonderprüfung) OLG Köln, Beschluss vom 22.02.2010, 18 W 1/10, ZIP 2010, S. 1799 (1800); ADS (1997), § 315 AktG, Rn. 17; KK-AktG (2014), § 142, Rn. 293; Godin/Wilhelmi (1971), § 142 AktG, Rn. 6). Ein solcher Verdachtsgrad ist zugleich ausreichend, weil das Gesetz in § 315 Satz 2 AktG keinen dringenden Verdacht fordert, sondern in bewusster und sachgerechter Abstufung auf einen einfachen Verdacht abstellt (vgl. zu ähnlichen Binnendifferenzierungen des Tatverdachts im Strafprozessrecht Roxin/Schünemann (2022), § 39, Rn. 15ff.).

 

Rn. 19

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Ebenso wie i. R.d. § 142 Abs. 2 AktG wird dem Antragsteller nicht abverlangt, die Nachteilszufügung glaubhaft zu machen oder gar zu beweisen (vgl. OLG München, Beschluss vom 08.06.2011, 31 Wx 81/10, ZIP 2011, S. 1364 (1365); OLG Stuttgart, Beschluss vom 15.06.2010, 8 W 391/08, NZG 2010, S. 864 (865); OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.08.2001, 20 W 135/01, OLG-Report Frankfurt 2001, S. 279 (281); Henssler/Strohn (2021), § 315 AktG, Rn. 5; ferner (i. R.d. allg. Sonderprüfung) OLG München, Beschluss vom 25.03.2010, 31 Wx 144/09, ZIP 2010, S. 1127 (1128); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.12.2009, 6 W 45/09, ZIP 2010, S. 28 (30)). Es genügt, dass die vorgetragenen Tatsachen den betreffenden Verdacht zur Überzeugung des Gerichts belegen. Das Gericht kann auch selbst zur Amtsermittlung nach § 26 FamFG schreiten (vgl. KonzernR (2022), § 315 AktG, Rn. 10). Ihm steht insoweit ein Ermessensspielraum zu, der im Einzelfall freilich behutsam ausgeschöpft werden sollte: Einerseits dürfen die Anforderungen an den Tatsachenvortrag nicht zu hoch geschraubt werden, damit das Kontrollrecht des § 315 Satz 2 AktG nicht das Schicksal des Satz 1 als "toter Buchstabe" erleidet; andererseits soll die konzernrechtliche Sonderprüfung nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht leichthin und aufs Geratewohl zugelassen werden. Gelangt das Gericht – ggf. nach durchgeführten Ermittlungen – zu der Überzeugung, dass der geforderte Verdacht gegeben ist, muss es nicht mehr in eine Einzelprüfung eintreten. Die Sonderprüfer sind vorbehaltlich der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift unverzüglich zu bestellen. Ob der Verdacht tatsächlich begründet ist, liegt außerhalb der gerichtlichen Zuständigkeit. Dies zu ermitteln, ist Gegenstand der Sonderprüfung selbst.

 

Rn. 20

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Besonderheiten gegenüber den Voraussetzungen der allg. Sonderprüfung ergeben sich hinsichtlich der Zielrichtung des Verdachts. § 315 Satz 2 AktG hat entsprechend seiner Aufgabe im Regelungssystem des Aktienkonzernrechts eine pflichtwidrige Nachteilszufügung im Blick. Das geht insoweit über § 142 Abs. 2 AktG hinaus, als tatsächliche Anhaltspunkte für eine Minderung oder konkrete Gefährdung der Vermögens- oder Ertragslage der abhängigen Gesellschaft vorliegen müssen (vgl. zum Nachteilsbegriff HdR-E, AktG § 311, Rn. 28ff.), während i. R.d. allg. Sonderprüfung kein Nachteil darzutun ist. Das Kriterium der Pflichtwidrigkeit der Nachteilszufügung nimmt Bezug auf § 317 Abs. 2 AktG, der das pflichtgemäße Verhalten des herrschenden UN für tatbestandsausschließend erklärt. Weil die Beweislast hierfür beim herrschenden UN liegt (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 317, Rn. 12), wird diesem Merkmal i. R.d. richterlichen Vorprüfung nach § 315 Satz 2 AktG aber nur selten eine eigenständige Bedeutung zukommen.

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