Rn. 600

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Die Diskussion um das Verhältnis von passiven latenten Steuern zu Rückstellungen wird bereits seit langem geführt. So gingt der Gesetzgeber im Entstehungsprozess des BiRiLiG (vgl. BT-Drs. 9/1878, S. 84) davon aus, dass alle Sachverhalte, welche durch die neu eingeführte passive Steuerlatenzvorschrift erfasst wurden, bereits vor BiRiLiG zu Rückstellungsbildungen führten. Der Kodifizierung der passiven latenten Steuern käme somit lediglich klarstellende Bedeutung zu. Allerdings ist die damalige Aussage des Gesetzgebers mit Vorsicht zu betrachten, da die Sachverhalte, welche zu passiven latenten Steuern führen konnten, wesentlich überschaubarer waren (vgl. Förster/Beer, StuW 2012, S. 85 (86f.); Kirsch/Hoffmann/Siegel, DStR 2012, S. 1290). Entsprechend wählt die RegB zum BilMoG (vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 67) eine wesentlich zurückhaltendere Formulierung. Zunächst wird klargestellt, dass "passiven latenten Steuern zwar teilweise der Charakter von Rückstellungen zukommen mag", aber keine grds. Aussage zu treffen sei. Aufgrund der Umstellung auf das Temporary-Konzept durch das BilMoG geht der Gesetzgeber insbesondere auf die Problematik bei quasi-permanenten Differenzen ein, beschränkt die Abgleichungsüberlegungen jedoch nicht ausschließlich auf diese Sachverhaltsgruppe.

 

Rn. 601

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Aus dieser Ausgangslage kann zunächst abgeleitet werden, dass bei Anwendung des § 274 alle Sachverhalte erfasst werden, welche auch ggf. für die Rückstellungsbildung relevant sein können. Die Einschlägigkeit des § 274 verdrängt aufgrund seiner Eigenschaft als lex specialis (vgl. Haufe HGB-Komm. (2021), § 274a, Rn. 14; Förster/Beer, StuW 2012, S. 85 (88); wohl partiell a. A. Pollanz, DStR 2013, S. 58 (62)) die Rückstellungsbilanzierung. Dies bedeutet, dass Anwender des § 274 – auch unabhängig von dem gewählten Ausweis – handelsrechtlich keine weiteren Rückstellungserwägungen vornehmen müssen.

 

Rn. 602

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Wendet der Bilanzierende hingegen § 274 nicht an, weil bspw. von der Erleichterungsvorschrift des § 274a Nr. 4 Gebrauch gemacht wird, oder die §§ 264ff. für ihn nicht einschlägig sind (Einzelkaufleute, PersG außerhalb des § 264a etc.), ist die Rückstellungsbilanzierung zu prüfen. Die konkrete Umsetzung nach Art und Umfang relevanter Sachverhalte wird stark und mit teilweise konträren Ergebnissen diskutiert. Als prominente Vertreter sind das IDW (RS HFA 7 (2012)) und die BStBK (DStR 2012, S. 2296f.) zu nennen.

 

Rn. 603

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Relevante Rückstellungsart ist die Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 (vgl. BStBK, DStR 2012, S. 2296, dortige Rn. 3; implizit aufgrund der angeführten Tatbestandsmerkmale BT-Drs. 16/10067, S. 67). Sämtliche Bilanzierungserwägungen sind aus Rückstellungssicht vorzunehmen (vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 68), so dass nur deren Ansatz- und Bewertungsvorschriften anzuwenden sind. Entgegen der teilweisen Bezeichnung im Schrifttum ist festzuhalten, dass dem HGB der Begriff "Rückstellung für passive latente Steuern" grds. fremd ist; vielmehr handelt es sich um eine Unterart der allg. Steuerrückstellungen – der Gesetzgeber verwendet die Bezeichnung "Rückstellung für zukünftig zu entrichtende Steuern" (BT-Drs. 16/10067, S. 67). Allerdings weist auch diese Begrifflichkeit Unschärfen in der Abgrenzung zu laufenden Steuern auf. Ein Alternativvorschlag könnte "Rückstellungen für zukünftige Steuermehrbelastungen" sein. V.a. darf die Bezeichnung Rückstellungen für passive latente Steuern nicht dazu verleiten, Ansatz- und Bewertungsvorgaben des § 274 unreflektiert auf die Rückstellungen zu übertragen. Mit diesen Einschränkungen wird im Folgenden weiterhin von Rückstellungen für passive latente Steuern gesprochen.

 

Rn. 604

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Die Bilanzierung von Rückstellungen für passive latente Steuern ist mit einer besonderen Schwierigkeit behaftet. Viele rückstellungsbegründende Sachverhalte, wie Pensionsverpflichtungen, Gewährleistungen oder Abschlusskosten, beinhalten bereits selbst eine potenzielle zukünftige wirtschaftliche Belastung des UN. Selbst Rückstellungen für laufende Steuern sind zwar in letzter Instanz durch einzelne Betriebseinnahmen und BA, außerbilanzielle Korrekturen etc. i. R.d. steuerlichen Bemessungsgrundlagenermittlung bedingt, knüpfen jedoch an eine sich hieraus in Summe ergebende erwartete Steuerbelastung an. Für eine Rückstellung für passive latente Steuern kann daher nichts Anderes gelten. Allerdings wird die Diskussion auf Basis von Einzelbetrachtungen rückstellungsauslösender Sachverhalte – parallel zu § 274 – vorgenommen (zumeist Differenzen zwischen handels- und steuerrechtlichen Wertansätzen; vgl. IDW RS HFA 7 (2012), Rn. 26). Solche Einzelsachverhalte lösen jedoch in der Zukunft nicht automatisch eine direkte Ertragsteuerbelastung aus; vielmehr kommt es lediglich zu einer Erhöhung der steuerlichen Bemessungsgrundlage. Erst im Zusammenspiel mit allen anderen Sachverhalten...

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