Inventur. Allein das Wort lässt viele Finanzverantwortliche innerlich zusammenzucken. Wochenlange Vorbereitungen, blockierte Lagerflächen, endlose Zähllisten und am Ende ein Abschluss, der mitunter mehr auf Annahmen als auf gesicherten Zahlen basiert. Dennoch halten zahlreiche Unternehmen an der klassischen Vollinventur fest und nehmen jedes Jahr hohe Kosten, gebundenes Personal und Verzögerungen in der Bilanzierung in Kauf. Andere haben den Schritt bereits umgestellt und zeigen, dass Inventur auch effizient, prüfungssicher und ohne operative Stillstände möglich ist. Statt tagelanger Sperrungen und groß angelegter Zählaktionen reicht ein systematischer Abgleich mit gezielten Stichproben aus, um verlässliche und prüfungssichere Werte für den Abschluss zu erhalten.
Stichprobeninventur: Rechtlich anerkannt und revisionssicher
Stichprobeninventurverfahren sind in Deutschland bereits seit 1977 als Methode zur Inventurvereinfachung in § 241 HGB rechtlich anerkannt und von Wirtschaftsprüfern zertifiziert. Bei einer Stichprobeninventur zählen Unternehmen nur einen kleinen Teil ausgewählter, aber repräsentativer Lagerpositionen manuell. Mittels mathematisch-statistischer Verfahren lässt sich das dokumentierte Ergebnis dieser Stichprobe auf den Gesamtbestand des Lagers hochrechnen. Im Prinzip funktioniert das – stark vereinfacht – wie bei Wahlprognosen. Dort wird das Ergebnis einer repräsentativen Befragung auf die Gesamtheit der Wähler hochgerechnet. Das Ergebnis der Stichprobeninventur ist oftmals sogar genauer als bei manuellen Zählungen, denn dabei passieren häufig Fehler.
Vom Kraftakt zur modernen Lösung
Bei Ottobock, einem weltweit führenden Unternehmen in der Prothetik mit Sitz im niedersächsischen Duderstadt, war die Inventur über viele Jahre hinweg eine Aufgabe wie in unzähligen anderen Betrieben auch. Tagelanges Zählen, gesperrte Flächen, Belastungen für Mitarbeitende und nicht zuletzt Auswirkungen auf die Abschlussplanung. Über 9.100 Beschäftigte arbeiten bei Ottobock, rund 400 Versorgungszentren versorgen Patientinnen und Patienten in 45 Ländern. Reibungslose Abläufe und präzise Bestände sind für ein Unternehmen dieser Größenordnung dabei unverzichtbar.
Zum Jahreswechsel 2022/2023 nutzte das Unternehmen den Wechsel der Wirtschaftsprüferorganisation, um den Prozess neu zu gestalten. Statt wie bisher auf eine klassische Vollaufnahme zu setzen, entschied sich Ottobock für eine Stichprobeninventursoftware. Innerhalb von nur zwei Wochen wurde der gesamte Ablauf digitalisiert und über die Cloud organisiert. Die Anwendung setzt als Add-on-System auf bestehende Lagerverwaltungs- oder ERP-Systeme auf und bezieht alle nötigen Daten über Schnittstellen. In den beiden Automatiklagern von Ottobock mit rund 65.000 und 38.000 Positionen mussten dadurch jeweils nur etwa 70 Artikel gezählt werden. Der Zählaufwand verringerte sich um mehr als 99 %, ohne dass die Genauigkeit der Ergebnisse für den Abschluss beeinträchtigt wurde.
Inventur in nur einem Tag
Auch bei SECOMP, einem der führenden europäischen Anbieter für IT-Zubehör und Vernetzungstechnik, war die Inventur lange ein Kraftakt mit entsprechenden Auswirkungen auf Produktivität und Bilanzprozesse. Das Unternehmen wurde 1988 gegründet und beliefert seitdem professionelle Anwender mit einem breiten Sortiment hochwertiger Produkte. Lange Zählaktionen und teilweise gesperrte Lagerflächen gehörten zum festen Ablauf, verursachten Aufwand und verzögerten die Bereitstellung verlässlicher Bestandswerte für den Jahresabschluss.
Vor über zehn Jahren entschied sich SECOMP daher für einen neuen Ansatz und führte die Stichprobeninventur mit unserer Software ein. Seitdem hat sich der Ablauf grundlegend verändert. „Früher hat uns die Inventur mehrere Tage lang beschäftigt. Heute ist sie in nur einem Tag erledigt“, freut sich Amandus Heck, Head of Supply Chain & Logistics bei SECOMP. „Damit konnten wir den Zählaufwand um über 99 % reduzieren und auch die Sperrzeiten im Lager haben sich deutlich verringert.“ Für SECOMP bedeutet das weniger Unterbrechungen im operativen Geschäft und damit auch weniger Umsatzeinbußen.
Ein besonderer Vorteil besteht zudem darin, dass wir als Softwareanbieter das Handling des Tools vollständig übernehmen. Die Mitarbeitenden bei SECOMP zählen lediglich die wenigen Stichproben, die das System vorgibt und übermitteln die Ergebnisse an das Softwareunternehmen. Die Auswertung erfolgt automatisiert, die Bestände werden hochgerechnet und die Ergebnisse revisionssicher dokumentiert. Damit hat sich die Inventur bei SECOMP von einer jährlichen Belastung zu einem überschaubaren Routineprozess entwickelt.
Flexibler Einsatz der Stichprobeninventur
Ein weiteres Beispiel liefert die ZF Friedrichshafen AG, einer der größten globalen Automobilzulieferer. Das Unternehmen setzt seit mehr als fünf Jahren auf die Stichprobeninventur und nutzt dabei unterschiedliche Ansätze, abgestimmt auf die jeweiligen Lagerstrukturen. „In einem unserer Lager führen wir eine permanente Stichprobeninventur durch. Diese basiert auf einem Hochrechenverfahren und umfasst über das Jahr verteilt regelmäßig kleine Zählungen“, erklärt Mike Endres, verantwortlich für das Thema Inventur bei ZF Friedrichshafen. So entsteht eine kontinuierlich aktualisierte und verlässliche Grundlage für Bilanz und Bewertung, ohne dass ein kompletter Stillstand notwendig ist.
In einem anderen Lager wird die Inventur am Stichtag mithilfe des Sequenzialtests durchgeführt. Dieses Verfahren wertet die Stichprobe bereits während der Zählung fortlaufend aus und beendet den Prozess, sobald ein statistisch abgesicherter Genauigkeitswert erreicht ist. „Bei uns dauert die Bestandsaufnahme inzwischen weniger als vier Stunden“, so Endres. „Wir konnten den Zählaufwand damit um über 98 % senken. Für ein international aufgestelltes Unternehmen mit komplexen Lieferketten bedeutet das eine deutliche Vereinfachung und schnellere Verfügbarkeit belastbarer Bestandsdaten für unseren Abschluss.“
Die Beispiele zeigen, wie die Stichprobeninventur aus einer organisatorischen Belastung einen strukturierten und revisionssicheren Routineprozess macht. Für Finanzverantwortliche bedeutet das vor allem verlässliche Ergebnisse bei deutlich geringerem Ressourceneinsatz, weniger operative Störungen und eine bessere Planbarkeit in der Bilanzierung. Anstatt die Inventur weiterhin als jährlichen Ausnahmezustand zu organisieren, kann sie als fester Bestandteil in die regulären Abläufe des Finanzbereichs integriert werden. Damit wird sie zu einem Verfahren, das nicht nur die gesetzlichen Anforderungen erfüllt, sondern zugleich Transparenz, Effizienz und Abschlussqualität nachhaltig verbessert.