Rz. 63

Die Aktivierung eines Anspruchs auf öffentliche Zuwendungen setzt die Erfüllung zweier, kumulativ zu erfüllender Kriterien voraus. Es muss mit angemessener Sicherheit feststehen, dass einerseits der Zuwendungsempfänger die an die Gewährung der Zuwendung geknüpften Bedingungen erfüllt und andererseits die Zuwendung dem Empfänger tatsächlich gewährt wird.[1] Da auf eine Konkretisierung bzw. Definition des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs "angemessene Sicherheit" (reasonable assurance) in IAS 20 verzichtet wird, bedarf es einer Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs, um den Zeitpunkt ermitteln zu können, zu dem eine Subvention bilanziell zu erfassen ist.[2]

 

Rz. 64

Um beurteilen zu können, ob der Eintritt eines Ereignisses angemessen sicher ist, muss zunächst analysiert werden, woran die Angemessenheit des Wahrscheinlichkeitsmaßes auszurichten ist, d. h., welches Ziel mit der Vorschrift verfolgt wird. Letztlich geht es im vorliegenden Sachverhalt um die Frage des Ansatzes eines (zukünftigen) wirtschaftlichen Vorteils bzw. Nutzens im IFRS-Abschluss, ergo um die Bilanzierung dem Grunde nach. So stellte denn das IASB auch bereits im Kontext des IAS 41 fest, "that it would inevitably be a subjective decision as to when there is reasonable assurance that the conditions are met and that this subjectivity could lead to inconsistent income recognition."[3] Vor diesem Hintergrund stellt sich insoweit die Frage, "of whether or not [reasonable assurance, d.Verf.] means the same as ‚probable‘ (or ‚more likely than not‘)"[4] i. S. d. IAS 37.14 bzw. IAS 37.23. Eine entsprechende Definition des Begriffs "probable" ist indes weder im (aktuellen) Rahmenkonzept (2018) des IASB noch in IAS 37 enthalten. Auch mithilfe der Konkretisierung aus IAS 37.23 – es spricht mehr für den Eintritt eines Ereignisses als dagegen (more likely than not) – kann eine allgemeingültige Begriffsbestimmung nur in Ansätzen deduziert werden. Denn der Wortlaut stellt klar, dass die dort niedergelegte Definition ausschließlich für "Zwecke dieses Standards"[5] anzuwenden ist.[6]

 

Rz. 65

Bei dem speziell in IAS 20 verwendeten Wahrscheinlichkeitsmaß "reasonable assurance" handelt es sich um eine besondere, für Zwecke des Bilanzansatzes von öffentlichen Zuwendungen heranzuziehende Ausprägung des allgemeinhin gebrauchten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs "probable" respektive "more likely than not". Dadurch, dass in IAS 20 der Ausdruck "angemessene Sicherheit" und nicht "wahrscheinlich" benutzt wird, gilt es jedoch zu konstatieren, dass die Begriffe nicht identisch auszulegen sind, sondern angemessen sichere Ereignisse eine Teilmenge wahrscheinlich eintretender Ereignisse darstellen. Denn semantisch ist mit dem Begriff "Sicherheit" eine höhere Mindesteintrittswahrscheinlichkeit verbunden als mit dem Terminus "wahrscheinlich".[7] Von "angemessener Sicherheit" ist mithin zu sprechen, wenn auf Grundlage der faktischen Verhältnisse bei Aufstellung des IFRS-Abschlusses mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Eintritt eines zukünftigen Ereignisses ausgegangen werden kann.[8]

[1] Vgl. IAS 20.7 f.
[2] Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung nach Internationalen Standards, 2002, Abschn. 11, Rz. 19 f., Stand: 12/2002; fernerhin Staß/Kottenstein, in Baetge u. a., Rechnungslegung nach IFRS, 2. Aufl. 2002, IAS 20, Rz. 19, Stand: 2/2019; Zülch, Die Gewinn- und Verlustrechnung nach IFRS, 2005, S. 110.
[3] IAS 41.BC69; vgl. des Weiteren Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, Haufe IFRS-Kommentar, 18. Aufl. 2020, § 12, Rz. 13: "Ermessensbehaftet bleibt der einer reasonable assurance beizumessende ‚Sicherheitsgrad‘."
[4] EY, International GAAP, 15. Aufl. 2020, S. 1741.
[6] Die IAS 37.23 zugehörige Fußnote stellt zwar fest, dass die in IAS 37 herangezogene Auslegung des Begriffs "probable" nicht zwingend auf andere Standards übertragbar ist. Dem steht jedoch IAS 8.11(a) entgegen, nach dem das Management in Fragen der Auslegung auf andere IFRS zurückzugreifen hat, falls dort ähnliche Sachverhalte geregelt werden; vgl. speziell zum Rekurs auf die Regelung(en) des IAS 8.10 f. für Zwecke der Auslegung Ruhnke/Nerlich, DB 2004, S. 389 (390).
[7] Vgl. ebenso EY, International GAAP, 15. Aufl. 2020, S. 1741: "The phrase ‚reasonable assurance‘ is generally interpreted as being a high threshold which [...] implies a significantly higher probability than ‚more likely than not‘."
[8] Vgl. ganz in diesem Sinne auch Fülbier u. a., KoR 2008 (S. 474 ff.), die die notwendige Mindestwahrscheinlichkeit – referenzierend auf ein Kontinuum zwischen "wahrscheinlich" (probable bzw. more likely than not (> 50 %)) und "so gut wie sicher" (virtually certain i. S. d. IAS 37.33 (nahezu 100 %)) – mit ca. 80 % beziffern (S. 476).

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