Leitsatz

Ein Tätigwerden in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung auf einer festgelegten Fläche und nicht innerhalb einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder bei einem vom Arbeitgeber bestimmten Dritten auszuüben hat.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Sätze 3 und 4, Abs. 4 EStG, § 15 AktG

 

Sachverhalt

Der Kläger war im Streitjahr (2015) bei der A-KG (als Hafenarbeiter) beschäftigt und erzielte Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung wurde er von seinem Arbeitgeber an 164 Arbeitstagen an vier verschiedenen Orten innerhalb des Gebiets des Hamburger Hafens eingesetzt, und zwar an 63 Tagen am Ort Z, an 30 Tagen am Ort Y, an 51 Tagen am Ort X und an 20 Tagen bei der B-KG (Ort W). Die arbeitstäglichen Fahrten von seiner Wohnung zu den jeweils von seinem Arbeitgeber arbeitstäglich morgens telefonisch zugewiesenen Einsatzstellen legte der Kläger mit seinem eigenen Pkw zurück.

In seiner Steuererklärung gab der Kläger Fahrten von seiner Wohnung zu dem Hafenzugang V als Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte an und begehrte insoweit den Ansatz der Entfernungspauschale. Für die Fahrten innerhalb des Hafengeländes machte er die tatsächlichen Fahrtkosten geltend.

Das FA veranlagte die Kläger erklärungsgemäß. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein. Für die Fahrten zwischen Wohnung und Hafenzufahrt seien anstelle der (ursprünglich beantragten) Entfernungspauschale ebenfalls die tatsächlichen Kosten anzusetzen.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG ab. Das FA habe zu Recht keine weiteren Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit berücksichtigt. Denn der Kläger habe "typischerweise arbeitstäglich" das Gebiet des Hamburger Hafens und damit "dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet" aufsuchen müssen, sodass Fahrten zwischen Wohnung und Hafenzugang nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a EStG – trotz Fehlens einer ersten Tätigkeitsstätte – nur mit der Entfernungspauschale berücksichtigt werden könnten (Niedersächsisches FG, Urteil vom 3.2.2021, 4 K 11006/17, Haufe-Index 14449516).

 

Entscheidung

Auf die Revision des Klägers hob der BFH die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt.

 

Hinweis

1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen.

a) Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 4 EStG, ist zu deren Abgeltung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 EUR anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG).

b) Hat ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte und hat er nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen, gilt die vorgenannte Regelung über die Entfernungspauschale für die Fahrten von der Wohnung zu diesem Ort oder dem zur Wohnung nächstgelegenen Zugang zum Tätigkeitsgebiet entsprechend. Für die Fahrten innerhalb des weiträumigen Tätigkeitsgebiets gelten § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Sätze 1 und 2 EStG entsprechend, nach denen die tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten oder die pauschalen Kilometersätze angesetzt werden können, die für das jeweils benutzte Beförderungsmittel (Fahrzeug) als höchste Wegstreckenentschädigung nach dem Bundesreisekostengesetz festgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Sätze 3 und 4 EStG).

2. Ein Tätigwerden in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet liegt jedoch nur vor, wenn der Arbeitnehmer die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung auf einer festgelegten Fläche und nicht innerhalb einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder bei einem vom Arbeitgeber bestimmten Dritten auszuüben hat.

3. Arbeitnehmer, die ihrer eigentlichen Tätigkeit in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung nachgehen, werden von der Vorschrift hingegen nicht erfasst, auch wenn ihnen ein bestimmtes Tätigkeitsgebiet zugewiesen ist und sie dort in verschiedenen ortsfesten betrieblichen Einrichtungen tätig werden.

4. Die Vorentscheidung kann daher keinen Bestand haben. Denn nach Feststellungen des FG ist der Kläger (schon) nicht auf einer festgelegten Fläche, sondern aufgrund (tagesaktueller) Weisungen in ortsfesten betrieblichen Einrichtungen von (vier) Kunden seines Arbeitgebers tätig geworden. Darauf, dass sich alle Einsatzorte des Klägers auf dem Gebiet des Hamburger Hafens befinden, kommt es insoweit nicht an.

5. Dem steht nicht entgegen, dass in der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der...

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