Leitsatz

1. Nimmt der Umsatzsteuerjahresbescheid den Regelungsgehalt vorheriger Voranmeldungsfestsetzungen in sich auf, ist für die Prüfung, zu welchem Zeitpunkt die in § 176 Abs. 2 AO genannte allgemeine Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet wurde, auf die jeweilige Voranmeldungsfestsetzung abzustellen.

2. Es besteht keine Änderungsbefugnis nach § 27 Abs. 19 UStG, wenn der Organträger einer Bauleistungen erbringenden Organgesellschaft keinen Anspruch der Organgesellschaft gegen den Leistungsempfänger abtreten kann, da über das Vermögen der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.

 

Normenkette

§ 2 Abs. 2 Nr. 2, § 27 Abs. 19 UStG, § 176 Abs. 2 AO

 

Sachverhalt

Die Klägerin war im Jahr 2012 (Streitjahr) Organträgerin einer GmbH. Die GmbH erbrachte gegenüber einer AG, einer Bauträgerin, im Streitjahr Bauleistungen ohne gesonderten Ausweis der USt, da die Vertragspartner von der Steuerschuldnerschaft der Bauträgerin gemäß § 13b UStG ausgingen. Die Klägerin erfasste die an die Bauträgerin erbrachten Leistungen daher nicht in ihren monatlich abgegebenen Voranmeldungen, die gemäß § 168 Sätze 1 und 2 AO zu Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung führten. Über das Vermögen der GmbH eröffnete das zuständige Amtsgericht das Insolvenzverfahren. Die Klägerin reichte am 9.4.2014 eine gemäß § 168 Satz 1 AO nicht zustimmungsbedürftige USt-Jahreserklärung für das Streitjahr beim FA ein. Am 14.7.2014 reichte sie eine aus hier nicht streitigen Gründen berichtigte – und gemäß § 168 Satz 2 AO zustimmungsbedürftige – USt-Jahreserklärung ein, der das FA am 7.10.2014 zustimmte. In beiden USt-Jahreserklärungen ging die Klägerin wiederum von einer Steuerschuldnerschaft der Bauträgerin für die an diese erbrachten Leistungen aus. Die Bauträgerin beantragte aufgrund des BFH-Urteils vom 22.8.2013 (V R 37/10, BFH/NV 2014, 130, BStBl II 2014, 128) im Jahr 2015 die Erstattung der von ihr entrichteten USt. Daher setzte das FA mit Bescheid vom 14.9.2016 gemäß § 164 Abs. 2 AO gegenüber der Klägerin als Organträgerin die USt für das Streitjahr um 49.487,02 EUR höher fest. Mit Bescheid vom 14.10.2016 änderte das FA die USt-Festsetzung nochmals wegen hier nicht streitiger Gründe. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Demgegenüber gab das FG der Klage statt (Sächsisches FG, Urteil vom 3.2.2021, 2 K 763/20, Haufe-Index 14436389, EFG 2021, 1235).

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte im Ergebnis die Entscheidung der Vorinstanz.

 

Hinweis

1. Die derzeit h.M. geht im Anschluss an den BFH, Beschluss vom 23.4.2010, V B 89/09, BFH/NV 2010, 1782 davon aus, dass es im Verhältnis von Voranmeldungs- zur Jahressteuerfestsetzung keinen Vertrauensschutz nach § 176 AO gibt. Im Besprechungsurteil hatte sich der BFH zwar nicht damit, aber mit einer verwandten Fragestellung zu beschäftigen.

a) Im Ausgangspunkt geht es um die Bauträgerkonstellation, bei der der leistende Unternehmer Bauleistungen an einen Bauträger erbringt und beide entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung, aber entgegen dem späteren BFH-Urteil vom 22.8.2013, V R 37/10, BFH/NV 2014, 130, BStBl II 2014, 128, mit dem diese Verwaltungsauffassung verworfen wurde, von einer Steuerschuldnerschaft des Bauträgers als Leistungsempfänger ausgehen. Im Anschluss an dieses BFH-Urteil beantragt der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Bauträger die Erstattung der nach diesem Urteil von ihm zu Unrecht entrichteten Steuer. Das FA entspricht dem und nimmt nunmehr den leistenden Unternehmer, der nach der BFH-Rechtsprechung Steuerschuldner ist, in Anspruch.

b) Die Besonderheit des Streitfalls ergibt sich daraus, dass der in dieser Weise vom FA in Anspruch genommene Kläger seine Bauleistungen im Jahr 2012 erbracht hatte und seine zur Steuerfestsetzungen unter Nachprüfungsvorbehalt führenden Voranmeldungen noch vor der Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 22.8.2013 (V R 37/10, BFH/NV 2014, 130, BStBl II 2014, 128) abgegeben hatte. Als weitere Besonderheit tritt hinzu, dass er seine gleichfalls zu einer Vorbehaltsfestsetzung führende Jahreserklärung zwar in Bezug auf die Anwendung von § 13b UStG entsprechend den Voranmeldungen, aber erst nach Aufgabe der Verwaltungsauffassung abgegeben hatte. Das FA nimmt den Kläger daher durch einen Änderungsbescheid zu der bereits vorliegenden USt-Jahresfestsetzung in Anspruch.

2. Zu entscheiden ist damit, ob der Änderung der bereits vorliegenden USt-Jahresfestsetzung § 176 Abs. 2 AO entgegensteht.

a) Nach dem Stand der bisherigen BFH-Rechtsprechung war dies zu verneinen. Denn danach greift § 176 AO nur ein, wenn eines der in dieser Vorschrift genannten Ereignisse wie z.B. eine geänderte BFH-Rechtsprechung im Zeitraum zwischen dem Erlass des ursprünglichen und des geänderten Steuerbescheids eingetreten ist.

Daran fehlte es vorliegend, da es zu der in § 176 Abs. 2 AO genannten Unvereinbarkeitsbezeichnung bereits vor Abgabe der als Vorbehaltsfestsetzung geltenden Jahreserklärung gekommen ist.

b) Hiervon ausgehe...

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