Leitsatz

1. Der Solidaritätszuschlag war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfassungswidrig.

2. Das SolZG 1995 i.d.F. durch Art. 4 des 2. FamEntlastG vom 01.12.2020 (BGBl I 2020, 2616) verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 oder Art. 14 GG.

 

Normenkette

§§ 1 ff. SolZG 1995, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG

 

Sachverhalt

Das FA setzte gegen die Kläger SolZ für 2020 und Vorauszahlungen auf den SolZ für 2021 durch Bescheide fest. Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das FG war von der Verfassungswidrigkeit der Erhebung des SolZ nicht überzeugt (FG Nürnberg, Urteil vom 29.7.2020, 3 K 1098/19, Haufe-Index 14058394, EFG 2020, 1771).

 

Entscheidung

Auf die Revision der Kläger hat der BFH das angefochtene Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben (Änderungsbescheide nach Urteil) und die Klage abgewiesen. Wie das FG war der BFH nicht davon überzeugt, dass die Erhebung des SolZ in den Jahren 2020 und 2021 (schon) verfassungswidrig war.

 

Hinweis

"Noch nicht verfassungswidrig". Die Formulierung wirft Fragen auf, vor allem: 1. Warum noch nicht? Und: 2. Wie lange noch?

1. a) Eine Ergänzungsabgabe (wie der SolZ) kann für einen längeren Zeitraum erhoben werden. Sie muss nicht befristet sein. Ob eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Aufhebung besteht, wenn der Anlass gebende Finanzierungsbedarf "evident" entfallen ist, hat das BVerfG noch nicht entschieden.

b) Eine zeitliche Begrenzung kann sich v. a. aus dem Zweck der Ergänzungsabgabe ergeben. Sie soll einen vorübergehend erhöhten Finanzbedarf decken; seinen dauerhaften Finanzbedarf muss der Staat aber durch Steuern decken. Nach fast einhelliger Ansicht im Schrifttum ist die Rechtfertigung für die Erhebung des SolZ mit dem Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 entfallen.

c) Demgegenüber bejaht der BFH einen (zumindest) in den Jahren 2020 und 2021 noch bestehenden wiedervereinigungsbedingten Sonderfinanzierungsbedarf des Bundes. Er übernimmt dabei die Zahlen aus der BT-Drucks. 19/14103, 1. Danach stehen wiedervereinigungsbedingten Ausgaben des Bundes von 383 Mrd. EUR Einnahmen aus dem SolZ von bisher 275 Mrd. EUR gegenüber. Außerdem gebe es fortlaufende Mehrausgaben in den Bereichen Rentenversicherungen und Arbeitsmarkt.

d) Diese Angaben genügen nach Auffassung des BFH den Darlegungs- und Begründungsanforderungen, die an den Gesetzgeber gestellt werden müssen und die trotz der langen Erhebungsdauer des SolZ nicht zu hoch angesetzt werden dürfen.

e) Die genannten Aufgaben seien auch (noch) keine Daueraufgaben, die nicht (mehr) über eine Ergänzungsabgabe finanziert werden dürften. Für die Rentenversicherung u.a. könne das zutreffen; für den Arbeitsmarkt aber nicht.

f) Allerdings sei der Sonderfinanzierungsbedarf gesunken. Angesichts dessen sei die Absenkung des SolZ ab 2021 "folgerichtig". Dass der Gesetzgeber noch kein konkretes Enddatum genannt habe, stehe dem nicht entgegen. Der Gesetzgeber habe erkennbar die Absicht, den SolZ nur noch für eine Übergangszeit zu erheben. Damit bleibe er, obwohl nicht bindend, im Rahmen seines sehr weiten Beurteilungsermessens.

2. Und wie lange noch? Eine klare zeitliche Grenze zieht der BFH nicht.

a) Legt man die im Gesetzgebungsverfahren dargestellte Deckungslücke von über 100 Mrd. EUR zugrunde, ergäbe sich bei Einnahmen von ca. 12 Mrd. EUR pro Jahr ab 2021 ohne Berücksichtigung von laufenden Lasten eine Restlaufzeit von noch einmal ca. 10 Jahren. Ob diese Überlegungen verfassungsrechtlich relevant sind, ob die Ergänzungsabgabe so lang erhoben werden darf, bis der Sonderfinanzierungsbedarf zu 100 % gedeckt ist, und ob die zugrunde liegenden Zahlen zutreffen, hat der BFH nicht entschieden.

b) Demgegenüber deutet der BFH auch eine mögliche Grenze bei 30 Jahren an. Die finanzielle Bewältigung der Wiedervereinigung sei eine Generationenaufgabe; danach wäre im Jahr 2025 Schluss.

c) Die Grenze von 30 Jahren löst sich allerdings vollständig vom Finanzierungszweck und widerspricht auch den verfassungsrechtlichen Annahmen, dass eine feste zeitliche Grenze nicht geboten ist und sich allenfalls aus dem Wegfall des Finanzierungszwecks ergeben kann. Warum das nach genau 30 Jahren der Fall sein sollte, lässt sich kaum begründen. Es erscheint deshalb auch fraglich, ob der BFH für das Jahr 2025 wirklich zu einer anderen Einschätzung gelangen würde.

d) Nicht ausgeschlossen erscheint zudem, dass der Gesetzgeber eine einmal eingeführte Ergänzungsabgabe "umwidmen" kann, wenn sich ein anderer vorübergehender erhöhter Finanzbedarf ergibt (Corona-Folgen, Ukraine-Krieg). Die Alternative wäre die Abschaffung der einen und die Einführung einer neuen Ergänzungsabgabe. Auch dazu hat sich der BFH nicht geäußert, weil es nach seiner Rechtsauffassung darauf nicht ankam. Insofern fehlt es auch noch an verfassungsrechtlicher Klärung.

3. Was die Ungleichbehandlung seit 2021 betrifft, beschränkt sich die Begründung im Wesentlichen auf die Aussage, dass die ausschließliche Belastung höherer Einkom...

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