Sachverhalt

Das polnische Vorabentscheidungsersuchen betraf die Zulässigkeit einer "Strafsteuer" bei unzutreffender Steuererklärung. Die Bundesregierung hatte sich an dem Verfahren nicht beteiligt. Konkret ging es um die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 und 2 der 1. EG-Richtlinie und verschiedener Artikel der 6. EG-Richtlinie.

Die Klägerin hatte in der Mehrwertsteuererklärung für Mai 2005 einen Vorsteuerüberhang erklärt. Darin war auch ein Vorsteuerabzug für den Erwerb eines bebauten Grundstücks enthalten, den die Finanzbehörde beanstandete. Da die Klägerin somit aus Sicht der Finanzbehörde in ihrer Steuererklärung eine höhere zu erstattende Differenz zwischen Ausgangsumsatzsteuer und Vorsteuerabzug erklärt hatte, als ihr zustand, setzte die Finanzbehörde eine zusätzliche Steuerschuld in Höhe von 30 % des Betrags des zu Unrecht erklärten Vorsteuerabzugs fest. Die Klägerin hielt diese Festsetzung für gemeinschaftswidrig.

Das Vorlagegericht bat in der Folge den EuGH um Vorabentscheidung zu folgenden Fragen:

  1. Sind die Mitgliedstaaten durch Art. 2 Abs. 1 und 2 der 1. EG-Richtlinie i.V.m. den Art. 2 und 10 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie daran gehindert, dem Mehrwertsteuerpflichtigen für den Fall der Feststellung, dass der Mehrwertsteuerpflichtige in der abgegebenen Steuererklärung einen Betrag als zu erstattende Steuerdifferenz oder als zu erstattende Vorsteuer ausgewiesen hat, der höher ist als der ihm zustehende Betrag, die Verpflichtung zur Zahlung der zusätzlichen Steuerschuld im Sinne von Art. 109 Abs. 5 und 6 des polnischen Mehrwertsteuergesetzes aufzuerlegen?
  2. Können die "Sondermaßnahmen" im Sinne von Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie unter Berücksichtigung ihres Charakters und Ziels in der Möglichkeit bestehen, dem Mehrwertsteuerpflichtigen eine zusätzliche Steuerschuld aufzuerlegen, die mit Entscheidung der Steuerbehörde festgesetzt wird, wenn festgestellt wird, dass der Steuerpflichtige einen zu hohen Betrag als zu erstattende Steuerdifferenz oder einen zu hohen Betrag als zu erstattende Vorsteuer angegeben hat?
  3. Umfasst die Berechtigung nach Art. 33 der 6. EG-Richtlinie das Recht, die zusätzliche Steuerschuld im Sinne von Art. 109 Abs. 5 und 6 des polnischen Mehrwertsteuergesetzes einzuführen?
 

Entscheidung

Zur ersten Frage hat der EuGH entschieden, dass die "Strafsteuer", um die es im vorliegenden Fall ging, in Wirklichkeit keine Steuer darstellt. Nach Auffassung des EuGH handelt es sich um eine verwaltungsrechtliche Sanktion handelt, die bei Unregelmäßigkeiten in der Steuererklärung verhängt wird. Der Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems hindert -so der EuGH - die Mitgliedstaaten nicht, solche Sanktionen zu verhängen. Vielmehr sieht der EuGH in Artikel 22 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie - seit 1.1.2007: Artikel 273 Unterabsatz 1 MwStSystRL - (wonach die Mitgliedstaaten weitere Pflichten vorsehen können, die sie als erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen) eine tragfähige Rechtsgrundlage. Damit hat der EuGH seine Rechtsprechung zu Art. 22 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie (seit 1.1.2007: Artikel 273 Unterabsatz 1 MwStSystRL) ausgeweitet. In seinem Urteil vom11.5.2006, C-384/04 (Federation of Technological Industries u.a.) hatte er u.a. entschieden, dass Artikel 22 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie eine nationale Regelung erlaubt, wonach jeder Unternehmer, der auf der Basis von Artikel 21 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie (seit 1.1.2007: Artikel 205 MwStSystRL) gesamtschuldnerisch für eine Steuer haftet, verpflichtet wird, eine Sicherheit für die Zahlung der für den betreffenden Umsatz geschuldeten Steuer zu leisten. Zusammen mit dem jetzt ergangenen Urteil ergibt sich, dass Maßnahmen auf der Basis von Art. 22 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie (seit 1.1.2007: Artikel 273 Unterabsatz 1 MwStSystRL) jedenfalls dann erlaubt sind, wenn sie keine Steuerfestsetzungen darstellen, die materiell-rechtlich bereits an anderer Stelle der Richtlinie geregelt sind. Außersteuerliche Maßnahmen wie Sanktionen oder Sicherheitsleistungen sind zulässig.

Die zweite Frage hat der EuGH - folgerichtig - dahingehend beantwortet, dass eine Strafsteuer wie im vorliegenden Fall (mangels Steuereigenschaft) keine Sondermaßnahme i.S. von Art. 27 Abs. 1 bis 4 der 6. EG-Richtlinie darstellt.

Gleiches gilt hinsichtlich der dritten Frage. Mangels Steuereigenschaft fällt die Strafsteuer auch nicht unter Art. 33 der 6. EG-Richtlinie und ist damit keine unzulässige Mehrwertsteuer i.S. dieser Vorschrift.

 

Hinweis

Da das deutsche Umsatzsteuerrecht vergleichbare "Strafsteuern" nicht kennt, hat die Entscheidung keine unmittelbaren Konsequenzen für das deutsche Umsatzsteuerrecht.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 15.01.2009, C-502/07

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