Bei Insolvenzverfahren, die nach dem 31.12.2020 beantragt worden sind, gelten nach der Verwaltungsauffassung[1] die Grundsätze zum Forderungseinzug durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter[2] für den Forderungseinzug durch den vorläufigen Sachwalter in der Eigenverwaltung entsprechend. Danach hat der eigenverwaltende Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung aufgrund der weiter bestehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch die notwendige Vereinnahmungsbefugnis. Er vereinnahmt aber bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren für die spätere Insolvenzmasse und begründet Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO. Der Schuldner übt die ihm verbliebenen Befugnisse im Insolvenzeröffnungsverfahren innerhalb der in §§ 270 ff. InsO geregelten Rechte und Pflichten aus und nimmt damit Aufgaben für den Unternehmensteil der späteren Insolvenzmasse wahr.

 
Praxis-Beispiel

Vereinnahmung von Forderungen durch den vorläufigen Sachwalter

Ein Unternehmer (Sollbesteuerer) führt am 1.6.2021 eine Warenlieferung aus, worüber er am 10.6.2021 eine Rechnung über 10.000 EUR zuzüglich 19 % USt = 1.900 EUR erteilt. In seiner USt-Voranmeldung für Juni 2021 meldet er den Umsatz und die darauf entfallende USt an. Die Rechnung ist zu diesem Zeitpunkt vom Leistungsempfänger noch nicht bezahlt worden. Am 9.9.2021 stellt der Unternehmer einen Insolvenzantrag und beantragt die Eigenverwaltung. Daraufhin wird am 10.9.2021 ein vorläufiger Sachwalter eingesetzt. Der Unternehmer als eigenverwaltender Schuldner vereinnahmt am 20.10.2021 seine Kundenforderung i. H. v. 11.900 EUR in voller Höhe. Das Insolvenzverfahren wird am 1.12.2021 eröffnet.

Nach der Verwaltungsauffassung[3] wird die Kundenforderung von 11.900 EUR am 10.9.2021 durch die Bestellung des vorläufigen Sachwalters aus rechtlichen Gründen uneinbringlich, da der Leistungsempfänger aufgrund der Bestellung des vorläufigen Sachwalters aus rechtlichen Gründen nicht mehr an den Schuldner leisten kann. Die für die Warenlieferung geschuldete USt i. H. v. 1.900 EUR ist in der USt-Voranmeldung für September 2021 zugunsten des Schuldners zu berichtigen (erste Berichtigung). Wegen der Vereinnahmung des Entgelts am 20.10.2021 ist die USt i. H. v. 1.900 EUR erneut nun zulasten des Schuldners zu berichtigen (zweite Berichtigung). Die zweite Berichtigung erfolgt im Gegensatz zur ersten Berichtigung im Unternehmensteil "Insolvenzmasse". Nach § 55 Abs. 4 InsO n. F. entstehen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1.12.2021 Masseverbindlichkeiten i. H. v. 1.900 EUR.

Die Verwaltungsauffassung insbesondere zur Übernahme der BFH-Rechtsprechung zur Doppelberichtigung auf die Fälle der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters im Eigenverwaltungsverfahren wird in der Literatur teilweise kritisiert.[4]

[1] BMF, Schreiben v. 11.1.2022, BStBl 2022 I S. 116, Rn. 17.
[3] BMF, Schreiben v. 11.1.2022, BStBl 2022 I S. 116, Rn. 17.
[4] Vgl. im Einzelnen Waza, USt direkt digital 2022, S. 15; Witfeld, ZRI 2021, S. 173; Schmidt, DStR 2021, S. 693; Kahlert, DStR 2021, S. 1505.

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