Leitsatz

Guthabenkarten über näher bezeichnete und im Inland zu erbringende Leistungen konnten wie eine Ware gehandelt werden und führten jedenfalls vor Inkrafttreten der § 3 Abs. 13 ff. UStG über die Anzahlungsbesteuerung zu einer Steuerentstehung.

 

Normenkette

§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4, § 3a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 Nr. 3 UStG, Art. 65 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Vom BFH zu entscheiden war, ob die Übertragung von Guthabenkarten oder Gutscheincodes für den Erwerb digitaler Inhalte der USt unterliegt.

Die Klägerin vertrieb 2017 über ihren Internetshop Guthabenkarten oder Gutscheincodes zum Aufladen von Nutzerkonten für das X-Netzwerk. Herausgeber war die Y Limited (Y) mit Sitz im Vereinigten Königreich. Die Gutscheincodes ermöglichten dem Erwerber die Aufladung seines Nutzerkontos mit dem erworbenen Nennwert (in EUR). Mit dem Guthaben konnten vom Kontoinhaber im X-Store der Y digitale Inhalte zu den dort angeführten Preisen erworben werden.

Die von der Klägerin verkauften Guthabenkarten oder Gutscheincodes waren mit der Länderkennung "DE" versehen (für Kunden mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort im Inland und einem deutschen X-Nutzerkonto). Y war der Vertragspartner für alle Käufe im X-Store.

Im Streitjahr bezog die Klägerin die Gutscheincodes der Y über den inländischen Zwischenhändler V, der die Gutscheincodes seinerseits von der inländischen Z-GmbH unter Ausweis inländischer USt erworben hatte.

Die Klägerin machte aus den Rechnungen des V den Vorsteuerabzug geltend, ohne ihre Ausgangsumsätze zu versteuern. Sie meinte, es handele sich um Wertgutscheine. Außerdem sei der Wohnsitz oder der Ansässigkeitsort des Endkunden nicht sicher bekannt. Eine Vielzahl im Ausland ansässiger X-Kunden hätte aufgrund von Preisvorteilen ein deutsches Nutzerkonto eröffnet und ebenfalls bei ihr, der Klägerin, Karten mit der Kennung DE eingekauft.

Das FA sah die Umsätze der Klägerin als im Inland steuerbare Übertragungen von Warengutscheinen an. Die X-Cards mit der Kennung DE seien ausschließlich für Endkunden mit Wohnsitz im Inland und einem deutschen Nutzerkonto bestimmt, weshalb sich der Leistungsort im Inland befinde.

Nachdem die Klägerin im Einspruchsverfahren glaubhaft gemacht hatte, dass Umsätze auch an nicht im Inland ansässige Leistungsempfänger ausgeführt worden waren, half das FA insoweit dem Einspruch ab, aber wies ihn im Übrigen als unbegründet zurück.

Das FG wies die Klage ab (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 10.3.2021, 4 K 62/19, Haufe-Index 14473525, EFG 2021, 1322). Die Leistung, die im Streitfall mit den Gutscheincodes habe erworben werden können, sei hinreichend konkret bestimmt (digitale Inhalte, Leistungsort im Inland, Steuersatz 19 %). Auslandsumsätze seien nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen worden. Unabhängig davon wäre die Klage aber auch teilweise unbegründet, als bei unterstellter Nichtsteuerbarkeit des Vertriebs der X-Cards mit Kennung "DE" die Klägerin nicht den bei Bezug der Gutscheincodes vorgenommenen Abzug der Vorsteuer beanspruchen könne.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück, da er die Hauptbegründung des FG für zutreffend hielt. Auf die (m.E. zutreffende) Hilfsbegründung des FG kam es daher nicht mehr an.

 

Hinweis

Das Besprechungsurteil betrifft die Rechtslage vor Einführung der § 3 Abs. 13 ff. UStG (zum neuen Recht s. Besprechung zu BFH, Beschluss vom 3.11.2022, XI R 21/21, BFH/PR 2023, 162). Der BFH begründet in ihm das gefundene Ergebnis scheinbar kumulativ:

1. M. E. vorrangig, da zuerst erwähnt und tragend, ist die Argumentation des BFH, dass Guthabenkarten für auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen (z.B. für Apps oder In-App-Käufe) unter Anwendung des EuGH-Urteils Lebara (EuGH, Urteil vom 3.5.2012 C-520/10, Lebara, BFH/NV 2012, 1084) wie eine Ware gehandelt werden. Der Verkauf eines Gutscheins ist danach an sich schon bereits die zu besteuernde Leistung. Man könnte sich fragen, ob der BFH seine Rechtsprechung zum alten Recht geändert hat.

2. Allerdings bzw. trotzdem argumentiert der BFH danach auch noch mit den Grundsätzen der Anzahlungsbesteuerung, nach der die Steuer (aber ohne Lebara dann doch wohl für eine noch zu erbringende Leistung von Y, nicht der Klägerin?) bereits mit der Vereinnahmung einer Anzahlung entstehe. Man muss diese Ausführungen m.E. vor dem Hintergrund sehen, dass das EuGH-Urteil Lebaraseinerseits die Grundsätze der Anzahlungsbesteuerung mit zur Begründung angeführt hat. Die Unklarheiten in Bezug auf dieses Urteil und seine Reichweite beseitigt der EuGH hoffentlich im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens zum neuen Recht (XI R 21/21). Für den Streitfall waren diese Zweifel aus Sicht des BFH nicht entscheidungserheblich.

3. Erhebliche praktische Bedeutung haben m.E. die Aussagen zur möglicherweise vertragswidrigen Einlösung. Sie ändern an der Besteuerung der Übertragung (zunächst?) nichts. Man könnte sich aber fragen, ob spätere vertragswidrige Einlösungen im Zeitpunkt der Einlösung zur Anwendung der ...

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