Leitsatz

1. Nach der Rechtslage bis zur Einfügung des § 20 Abs. 2 Sätze 4 und 5, Abs. 4 Sätze 8 und 9 EStG durch das Investmentsteuerreformgesetz vom 19.07.2016 sind im Fall des sog. Bondstripping von im Privatvermögen gehaltenen Bundesanleihen deren Anschaffungskosten nicht auf den durch die Trennung entstandenen Anleihemantel und die Zinsscheine aufzuteilen.

2. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in der bis zum JStG 2020 geltenden Fassung ist nicht dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass die Norm keine Anwendung findet, wenn durch die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und Nr. 7, § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG 2014

 

Sachverhalt

Der Kläger erwarb im Jahr 2014 über ein Wertpapierdepot Bundesanleihen zu einem Kaufpreis von 4.098.945,84 EUR, 4.098.826,66 EUR und 4.519.993,24 EUR. Nach dem Erwerb erteilte ­der Kläger seiner depotführenden Bank die Weisung, die Bundesanleihe in den Anleihemantel und ­die Zinsscheine zu trennen. Er veräußerte im Jahr 2014 die Zinsscheine zu einem Kaufpreis von 2.536.201,65 EUR, 2.366.270,14 EUR und 2.741.902 EUR. Die Anleihemäntel veräußerte er im Jahr 2014 an die A-GmbH zu einem Kaufpreis von 1.580.100 EUR, 1.731.560 EUR und 1.780.605 EUR. Die Mittel zum Erwerb der Anleihemäntel stellte der Kläger der A‐GmbH jeweils darlehensweise zur Verfügung.

In ihrer ESt-Erklärung für das Streitjahr erklärten die Kläger in der Anlage KAP bei den Kapitalerträgen, die nicht dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben, einen Gewinn aus der Veräußerung der Zinsscheine i.H.v. insgesamt 7.459.241 EUR als dem gesonderten Tarif unterliegende Kapitaleinkünfte des Klägers nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Darüber hinaus erklärten sie einen Verlust aus der Veräußerung der Anleihemäntel i.H.v. insgesamt 7.515.671 EUR, den sie gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG als der tariflichen ESt unterliegende und gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG von der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG ausgenommene negative Kapitaleinkünfte des Klägers i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG geltend machten. Bei der Ermittlung der Veräußerungsgewinne bzw. ‐verluste ordneten sie die Anschaffungskosten der Bundesanleihen (mit Ausnahme der auf die Stückzinsen entfallenden Beträge) vollständig den jeweiligen Anleihemänteln zu.

Das FA vertrat dagegen die Auffassung, dass die vom Kläger gewählte Gestaltung, insbesondere die Veräußerung der Anleihemäntel an die A‐GmbH, einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO darstellt. Nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO entstehe der Steueranspruch so, wie dies bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung der Fall sei. Demzufolge seien die Verluste aus der Veräußerung der Anleihemäntel nach § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG lediglich mit den Gewinnen aus der Veräußerung der Zinsscheine und den weiteren positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegen, verrechenbar. Es erließ einen entsprechenden ESt-Bescheid für das Streitjahr 2014. Einspruch und Klage hiergegen hatten keinen Erfolg (FG München, Urteil vom 20.10.2020, 12 K 3102/17, Haufe-Index 14267964).

 

Entscheidung

Die hiergegen von dem Kläger erhobene Revision war begründet. Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.

 

Hinweis

1. Die Veräußerung der Anleihemäntel und die Veräußerung der Zinsscheine führen zu Einkünften aus Kapitalvermögen. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von Zinsscheinen und Zinsforderungen durch den Inhaber oder ehemaligen Inhaber der Schuldverschreibung, wenn die dazugehörigen Schuldverschreibungen nicht mitveräußert werden. Die isolierte Veräußerung der Anleihemäntel führt zu Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG. Dass der Kläger aus der Veräußerung der Anleihemäntel jeweils einen Verlust erzielt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gemäß § 20 Abs. 4und Abs. 6 EStG auch ein negativer Gewinn, d.h. ein Veräußerungsverlust, erfasst.

2. Die aus der Veräußerung der Anleihemäntel erzielten Verluste i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG unterliegen der tariflichen ESt, weil die Anwendung des gesonderten Tarifs im Streitfall gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift setzt der Ausschluss des gesonderten Tarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen voraus, dass die Kapitalerträge i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG von der Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft beteiligt ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Die A‐GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger war, hat an diesen für den Erwerb der Anleihemäntel einen Ver...

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