Leitsatz

1. Nach der Rechtslage bis zur Einfügung des § 20 Abs. 2 Sätze 4 und 5, Abs. 4 Sätze 8 und 9 EStG durch das Investmentsteuerreformgesetz vom 19.07.2016 sind im Fall des sog. Bondstripping von im Privatvermögen gehaltenen Bundesanleihen deren Anschaffungskosten nicht auf den durch die Trennung entstandenen Anleihemantel und die Zinsscheine aufzuteilen.

2. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in der bis zum JStG 2020 geltenden Fassung ist nicht dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass die Norm keine Anwendung findet, wenn durch die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und Nr. 7, § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG 2013

 

Sachverhalt

Der Kläger erwarb im Streitjahr 2013 über ein Wertpapierdepot Bundesanleihen zu einem Kaufpreis von 999.999,20 EUR (einschließlich gezahlter Stückzinsen i.H.v. 24.561,29 EUR) und 979.999,54 EUR (einschließlich gezahlter Stückzinsen i.H.v. 25.323,02 EUR). Nach dem Erwerb erteilte er der depotführenden Bank die Weisung, die Bundesanleihen in den Anleihemantel und die Zinsscheine zu trennen. Noch im selben Jahr veräußerte er die Zinsscheine zu einem Kaufpreis von insgesamt 624.833,91 EUR bzw. 589.159,72 EUR. Am 13.5.2013 veräußerte er den Anleihemantel zu einem Kaufpreis von 328.836,30 EUR bzw. 356.165,96 EUR an die A‐GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger war. Die Mittel zum Erwerb der Anleihemäntel stellte der Kläger der A‐GmbH jeweils darlehensweise zur Verfügung.

In seiner ESt-Erklärung für das Streitjahr erklärte der Kläger in der Anlage KAP bei den Kapitalerträgen, die nicht dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben, einen Gewinn aus der Veräußerung der Zinsscheine i.H.v. insgesamt 1.213.993,63 EUR als dem gesonderten Tarif unterliegende Kapitaleinkünfte des Klägers nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Darüber hinaus erklärte er einen Verlust aus der Veräußerung der Anleihemäntel i.H.v. insgesamt 1.245.112,17 EUR, den er gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG als der tariflichen ESt unterliegende und gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG von der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG ausgenommene negative Kapitaleinkünfte des Klägers i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG geltend machte. Bei der Ermittlung der Veräußerungsgewinne bzw. ‐verluste ordnete er die Anschaffungskosten der Bundesanleihen (mit Ausnahme der auf die Stückzinsen entfallenden Beträge) vollständig den jeweiligen Anleihemänteln zu.

Das FA folgte dem nicht, da nach seiner Auffassung ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO vorlag. Demzufolge verrechnete es bei der Festsetzung der ESt die Verluste aus der Veräußerung der Anleihemäntel nach § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG lediglich mit den Gewinnen aus der Veräußerung der Zinsscheine und den sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterlagen. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG Düsseldorf, Urteil vom 29.3.2019, 1 K 2163/16 E,F, Haufe-Index 13367103).

 

Entscheidung

Die hiergegen von dem Kläger erhobene Revision war begründet. Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.

 

Hinweis

1. Die Veräußerung der Anleihemäntel und die Veräußerung der Zinsscheine führen zu Einkünften aus Kapitalvermögen. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von Zinsscheinen und Zinsforderungen durch den Inhaber oder ehemaligen Inhaber der Schuldverschreibung, wenn die dazugehörigen Schuldverschreibungen nicht mitveräußert werden. Die isolierte Veräußerung der Anleihemäntel führt zu Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG. Dass der Kläger aus der Veräußerung der Anleihemäntel jeweils einen Verlust erzielt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gemäß § 20 Abs. 4 und Abs. 6 EStG auch ein negativer Gewinn, d.h. ein Veräußerungsverlust, erfasst.

2. Bei der Gewinn- bzw. Verlustermittlung ist das FG zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Anschaffungskosten der erworbenen Bundesanleihen jeweils auf die Anleihemäntel und die Zinsscheine aufzuteilen sind. Diese sind allein dem Anleihemantel zuzuordnen. Denn bei der Aufteilung der Bundesanleihen kommt es nicht zu einer Substanzabspaltung. Die Abtrennung und Veräußerung der Zinsscheine ist gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG als entgeltliche Vorausabtretung von Zinserträgen zu behandeln. Die in den Zinsscheinen verkörperten Zinsen sind Früchte der Anleihe, nicht Teil ihrer Substanz.

3. Mit der Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass nach der Abtrennung in der Veräußerung der Zinsscheine keine Teilveräußerungen der ursprünglichen Anleihe gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG zu sehen sind, sondern...

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