Leitsatz

Die Beförderung kranker oder verletzter Personen oder solcher mit Behinderung durch einen hierfür anerkannten Unternehmer ist als "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung" i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 17 Buchst. b UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g und p, Art. 134 Buchst. b EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Der Kläger bzw. eine GmbH, deren Organträger der Kläger ist, erbrachte Personenbeförderungsleistungen ausschließlich für oder an kranke, behinderte oder verletzte Personen. Die Genehmigungen zum Verkehr mit Mietwagen (§ 49 PBefG) galten nur für Fahrgäste, die aus medizinischen Gründen zu einer Einrichtung, Behandlung, Therapie, Arbeitsstätte, einem Krankenhaus, Arzt etc. hin- und/oder zurückgefahren werden müssen.

Der Kläger und die GmbH rechneten die Transportleistungen zum großen Teil direkt gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen oder Berufsgenossenschaften ab, nachdem die Krankenbeförderung ärztlich verordnet worden war. Weitere Beförderungsleistungen, z.B. von Menschen mit Behinderung, wurden aufgrund von Vereinbarungen mit verschiedenen Einrichtungen und Verbänden und Krankenhäusern durchgeführt. Nur wenn eine Krankenkasse die Erstattung der Kosten ablehnte, erhielt die beförderte Person selbst eine Rechnung.

Daneben beförderte der Kläger bzw. die GmbH in den Jahren 2009 bis 2012 (Streitjahre) Essenscontainer und Medikamente.

Nach Außenprüfungen beim Kläger und bei der GmbH nahm das FA an, dass die Voraussetzungen des § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG nur teilweise vorlägen. Die Beförderungen von kranken und verletzten Personen seien nicht nur mit Fahrzeugen, die hierfür besonders eingerichtet sind, erfolgt.

Mangels Abgabe von Steuererklärungen für die Besteuerungszeiträume 2010 und 2011 sowie wegen fehlender Aufzeichnungen bezüglich der einzelnen Verwendung der Fahrzeuge führte das FA Schätzungen durch (Umsätze zum Regelsteuersatz sowie zum ermäßigten Steuersatz). Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG (FG Münster, Urteil vom 10.10.2019, 5 K 2662/16 U, Haufe-Index 13546327, EFG 2021, 236) gab der Klage teilweise statt. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen. Seine Beförderungsleistungen erfüllten nur teilweise die Voraussetzungen der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG. Jedoch sei keine Bedürftigkeitskontrolle dahin gehend durchzuführen, ob die beförderte Person medizinisch auf die Verwendung der besonderen Einrichtung des Krankenwagens angewiesen gewesen sei. Gegen die Schätzung des FA, wonach 85 % der steuerpflichtigen Umsätze dem ermäßigten ­Steuersatz unterlägen, bestünden keine Bedenken.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück. Die Personenbeförderungen seien nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei. Soweit der Kläger oder die GmbH aber auch Essenscontainer oder Medikamente transportiert hätten, sei kein Befreiungstatbestand ersichtlich. Auch der Frage einer Privatverwendung von Fahrzeugen und Telefonen sei nachzugehen.

 

Hinweis

1. Nach § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. p MwStSystRL ist die Beförderung von kranken und verletzten Personen mit Fahrzeugen, die hierfür besonders eingerichtet sind, umsatzsteuerfrei. Weiter sind nach Art 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen, die durch anerkannte Einrichtungen mit sozialem Charakter bewirkt werden, umsatzsteuerfrei. In welchem Verhältnis stehen diese Steuerbefreiungen zueinander? Oder anders gesagt: Muss die Beförderung von kranken und verletzten Personen, die nicht mit Fahrzeugen erfolgt, die hierfür besonders eingerichtet sind, zwingend umsatzsteuerpflichtig sein? Der BFH hat dies verneint. Art. 132 Abs. 1 Buchst. p MwStSystRL ist kein lex specialis zu Art 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL und schließt dessen Anwendung auf Personenbeförderungen nicht aus.

2. Die Steuerbefreiung ist auch nicht aufgrund von Art. 134 Buchst. b MwStSystRL ausgeschlossen. Zwar sind Umsätze steuerpflichtig, wenn sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden. Der Grundsatz der Neutralität erfordert zwar, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Leistungen hinsichtlich der USt gleich zu behandeln. Doch ist eine Gleichbehandlung hier dadurch möglich, dass vergleichbare Leistungen ebenfalls umsatzsteuerfrei sind (vgl. BFH, Urteil vom 24.3.2021, V R 1/19, Rz. 62, BFH/NV 2021, 1447). Soweit Taxi- und Mietwagenunternehmer nicht die Anerkennungsvoraussetzungen erfüllen, ist das Fehlen dieser Voraussetzungen bei Wettbewerbern nicht geeignet, eine Wettbewerbsverzerrung zu begründen, sondern notwendige Folge der personellen Voraussetzung des Befreiungstatbe...

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