1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die Vorschrift wurde durch das Jahressteuergesetz 2020[1] in das Umsatzsteuergesetz als Teil einer umfassenden Neuregelung zum elektronischen Geschäftsverkehr im Rahmen des s.g. Mehrwertsteuer-Digitalpakets eingefügt. Sie ist nach § 27 Abs. 34 UStG erstmals auf Umsätze und Einfuhren anzuwenden, die nach dem 30.6.2021 ausgeführt werden.

 

Rz. 2

Durch die Einführung wird Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie (EU) 2019/1995 des Rates vom 21.11.2019 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 in Bezug auf Vorschriften für Fernverkäufe von Gegenständen und bestimmte inländische Lieferungen von Gegenständen (ABl. L 310 vom 2.12.2019, S. 1), mit dem Art. 36b der Richtlinie 2006/112/EG neu eingefügt wurde, umgesetzt.[2] Von redaktionellen Anpassungen abgesehen entspricht die Umsetzung dem Wortlaut der Richtlinie: Wird ein Steuerpflichtiger gemäß Artikel 14a MwStSystRL behandelt, als ob er Gegenstände erhalten und geliefert hätte, wird die Versendung oder Beförderung der Gegenstände der Lieferung durch diesen Steuerpflichtigen zugeschrieben.

 

Rz. 3

Die Regelung ist als Komplementärvorschrift zum zeitgleich eingeführten § 3 Abs. 3a UStG zu sehen und enthält bei identischen Voraussetzungen eine Erweiterung der dort geregelten Rechtsfolgen, die aus systematischen Gründen in verschiedenen Absätzen erfasst wurden. Danach wird ein Unternehmer gemäß § 3 Abs. 3a UStG behandelt, als ob er einen Gegenstand selbst erhalten und geliefert hätte (fiktive Leistungskette). Durch § 3 Abs. 6b UStG wird die Beförderung oder Versendung des Gegenstands der Lieferung durch diesen Unternehmer zugeschrieben.

 

Rz. 4

§ 3 Abs. 6b UStG ist durch seine strukturelle Einordnung lex specialis zu § 3 Abs. 6a UStG und enthält in Abgrenzung zur dortigen Regelung des Reihengeschäfts die Fiktion eines Reihengeschäfts in den Fällen von § 3 Abs. 3a UStG. Bei dieser Fiktion handelt es sich um eine von der Regelung des Reihengeschäfts nach § 3 Abs. 6a UStG eigenständigen Fiktion, wie sich auch aus der gleichzeitigen Nennung beider Vorschriften in § 3 Abs. 7 UStG ableiten lässt.

[1] BGBl I 2020, 3096.
[2] BT-Drs. 19/22850, 133.

2 Regelungsinhalt

 

Rz. 5

Die Vorschrift regelt für die unter § 3 Abs. 3a UStG fallenden Tatbestände neben der dort angeordneten fiktiven Leistungskette als weitere Rechtsfolge die Zuordnung der bewegten Lieferung. Wird ein Unternehmer gemäß § 3 Abs. 3a UStG behandelt, als ob er einen Gegenstand erhalten und geliefert hätte (Betreiber einer elektronischen Schnittstelle), wird die Beförderung oder Versendung des Gegenstands der Lieferung durch diesen Unternehmer zugeschrieben. Die Lieferung an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle ist dadurch die ruhende Lieferung. Diese Lieferung, die der Beförderungs- oder Versendungslieferung vorangeht, gilt nach § 3 Abs. 7 S. 2 Nr. 1 UStG als dort ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstands beginnt. Für die Lieferung durch den Betreiber der elektronischen Schnittstelle leitet sich der Ort aus § 3c UStG ab.

 
Wichtig

Der Betreiber einer elektronischen Schnittstelle (B) wird beim Vorliegen der Voraussetzungen von § 3 Abs. 3a UStG fiktiv so gestellt, als ob er die Lieferung des über seine elektronische Schnittstelle tätigen Unternehmers (U) selbst erhalten und als ob er diese Lieferung selbst an den Kunden des Unternehmers (K) ausgeführt hätte. Damit wird ein Reihengeschäft U -> B -> K fingiert.

Die Lieferung B -> K ist die bewegte Lieferung (§ 3 Abs. 6b UStG).

Die Lieferung U-> B ist die ruhende Lieferung (§ 3 Abs. 7 S. 2 Nr. 1 UStG).

 

Rz. 6

Nach der Intention des Gesetzgebers regelt § 3 Abs. 6b UStG durch die Zuordnung der warenbewegten Lieferung im Falle der Lieferung eines Gegenstands über eine elektronische Schnittstelle einen besonderen Fall des Reihengeschäfts. Aus diesem Grunde wurde zeitgleich § 3 Abs. 7 S. 2 UStG um einen Verweis auf § 3 Abs. 6b UStG ergänzt.[1] Gleichwohl müssen die durch § 3 Abs. 6a UStG geregelten Voraussetzungen des Reihengeschäfts nicht vorliegen, um die Rechtsfolgen von § 3 Abs. 6b UStG eintreten zu lassen. Denn bei der Bestimmung der Warenbewegung geht § 3 Abs. 6b UStG als speziellere Vorschrift der Regelung des § 3 Abs. 6a UStG vor.[2]

 

Rz. 7

Damit ergibt sich für die fingierte Lieferung des nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers an den mittels einer elektronischen Schnittstelle unterstützenden Unternehmer eine ruhende und für die fingierte Lieferung an den Empfänger eine bewegte Lieferung. Diese Frage ist insbesondere für die Steuerfreiheit und die Bestimmung des Lieferungsortes beider Lieferungen relevant, die für steuerbare Umsätze im Inland liegen müssen. Nach § 4 Nr. 4c UStG ist die unbewegte Lieferung an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle steuerfrei. Der Ort der bewegten Lieferung des Betreibers an den Abnehmer liegt nach § 3c UStG im Inland.

 
Praxis-Beispiel

Der in Luxemburg ansässige Verbraucher V bestellt Technikzubehör (Sachwert nach § 3 Abs. 3a UStG unter 150 EUR) bei dem im Inland ansässigen Onlinehändler O über die elektroni...

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