Rz. 76

Ausweislich der Gesetzesbegründung des § 26a Abs. 1 UStG kommt dem im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Opportunitätsgrundsatz im Rahmen der Anwendung der Vorschrift eine besondere Bedeutung zu[1], nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll damit also der (weite) Anwendungsbereich im konkreten Fall eingegrenzt werden können. Dieser Grundsatz hat es nun zum Inhalt, dass die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im (pflichtgemäßen) Ermessen der Verfolgungsbehörde liegt, es gilt mithin nicht wie im Strafrecht das Legalitätsgrundsatz (der Verfolgungszwang) für Straftaten[2], sondern ein gewisser Entscheidungsspielraum der Verfolgungsbehörde. Die gesetzliche Grundlage des Opportunitätsgrundsatzes findet sich in § 47 Abs. 1 S. 1 OWiG. Danach liegt die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es auch einstellen (§ 47 Abs. 1 S. 2 UStG). Der Grund dieser gegenüber dem Strafverfahren milderen Regelung besteht nun darin, dass Ordnungswidrigkeiten die Rechtsordnung weniger gefährden und einen geringeren Unrechtsgehalt aufweisen als Straftaten. Schon beim Vorliegen besonderer Umstände kann der Unrechtsgehalt des Ordnungsverstoßes so gering und eine Gefährdung so entfernt sein, dass eine Ahndung nicht mehr angemessen oder jedenfalls nicht notwendig erscheint.[3]

Eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen bedeutet dabei, dass die Finanzbehörde sowohl ihr Entschließungsermessen als auch die Höhe einer möglichen Sanktion entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben hat und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat (§ 5 AO). Wirklich konkrete Vorgaben für eine Anwendung des § 26a Abs. 1 UStG im Einzelfall stellen diese gesetzlichen Grundlagen allerdings nicht zur Verfügung. Auch der in der Gesetzesbegründung[4] eingefügte ausdrückliche Verweis auf § 266a StGB dürfte in den meisten Anwendungsfällen des § 26a Abs. 1 UStG nicht weiterführen, denn mit den Vorgaben dieser Vorschrift kann bei Übertragung auf das Steuerrecht wohl nur selten von einer Ahndung als Ordnungswidrigkeit abgesehen werden (Rz. 61f.).

 

Rz. 77

Für den Bereich der Steuerordnungswidrigkeiten findet sich allerdings in der Nr. 104 der Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (AStBV Steuer 2022)[5] eine weitere Konkretisierung der Umstände der zu berücksichtigenden Ermessenserwägungen der Finanzbehörden bei Steuerordnungswidrigkeiten, die m. E. gerade bei Anwendung des bei § 26a Abs. 1 UStG für die Finanzbehörden und auch die betroffenen Steuerpflichtigen einen gewissen Rahmen der zu berücksichtigenden Umstände liefern. Dabei sind insbesondere die Abs. 2 und 3 dieser Regelung zu nennen:

(2) Die Ermessensentscheidung hat sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach sachlichen Gesichtspunkten zu treffen und dabei vor allem den Gleichheitssatz, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot, die Bedeutung der Tat, den Grad der Vorwerfbarkeit und das öffentliche Interesse an der Verfolgung, das z. B. von der Häufigkeit derartiger Verstöße und der Wiederholungsgefahr abhängen kann, zu beachten.

(3) Trotz Verdachts kann von der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nach den vorstehenden Abs. in der Regel abgesehen werden, wenn der verkürzte Betrag oder gefährdete Betrag insgesamt weniger als 5.000 EUR beträgt, sofern nicht ein besonders vorwerfbares Verhalten für die Durchführung eines Bußgeldverfahrens spricht. Das Gleiche gilt, wenn in diesen Fällen der insgesamt gefährdete Betrag unter 10.000 EUR liegt und der gefährdete Zeitraum 3 Monate nicht übersteigt.

Diese Verwaltungsanweisungen sind zunächst in allgemeiner Sicht wichtig, weil in Abs. 2 vor allem auf die immer geltenden verfassungsrechtlichen Vorgaben staatlichen Handelns verwiesen wird, von denen bei Anwendung des § 26a Abs. 1 UStG aus meiner Sicht vor allem der Gleichheitssatz und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von besonderer Bedeutung sind. Interessant sind aber vor allem die in Abs. 3 genannten "Betragsgrenzen" von 5.000 und 10.000 EUR, das sind klare Vorgaben, die für jeden Rechtsanwender verständlich sind.

 

Rz. 78

Sieht man aber einmal von den wenigen konkreten Vorgaben in der Nr. 104 Abs. 2 und 3 AStBV (St) ab, dann kann die Finanzbehörde im Ergebnis als Verfolgungsbehörde bei Taten nach § 26a Abs. 1 UStG dennoch nur auf allgemeine Ermessenserwägungen zurückgreifen und der Verweis auf § 266a StGB in der Gesetzesbegründung lässt erkennen, dass der Gesetzgeber eigentlich nur wenig "Milde" bei der Anwendung dieses Ordnungswidrigkeitentatbestandes im Sinne hatte. Dies steht m. E. allerdings in absoluter Diskrepanz zur bisherigen praktischen Bedeutung der Vorgängerregelung in § 26b UStG (Rz. 33), denn die Finanzbehörden machten in den letzten Jahren eher zurückhaltend von dieser Sanktionsmöglichkeit Gebrauch.[6] Wenn man sich hier aber vorstellt, dass sämtliche Verstöße gegen die Zahlungspflichten bei der Umsatzsteuer konsequent nach § 26a Abs. 1 UStG v...

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