Rz. 60

Eine wichtige Frage im Zusammenhang mit § 26a Abs. 1 UStG ist – genauso wie bei der Vorgängerregelung im § 26b UStG –, ob die Vorschrift auch Anwendung findet, wenn der Unternehmer finanziell nicht in der Lage ist, die angemeldete und geschuldete USt zu bezahlen. Fehlt dem handelnden Steuerpflichtigen dann der Vorsatz oder fehlt es sogar am Vorliegen des objektiven Tatbestands? Hier ist wohl zunächst danach zu differenzieren, ob dieses "Unvermögen" zur Zahlung der Steuerschuld von dem Steuerpflichtigen verschuldet worden ist oder nicht, wobei zuletzt auch die Ausprägung des Verschuldens – vorsätzlich oder fahrlässig – in die Erwägungen einzubeziehen ist. Dann kommt es noch darauf an, zu welchem Zeitpunkt dem Unternehmer seine Zahlungsunfähigkeit oder die drohende Zahlungsunfähigkeit bekannt war oder geworden ist. Zu klären ist auch das Verhältnis zu § 240 AO (Säumniszuschläge), denn der Abs. 3 dieser Regelung sieht für die verspätete Zahlung von Steuern eine Schonfrist von drei Tagen vor, bevor ein Säumniszuschlag erhoben werden darf. Jedenfalls dieser letzte Punkt lässt sich klar beantworten: Da diese zusätzliche "Frist" keinen Einfluss auf den Eintritt der Fälligkeit hat, kommt ihr auch keine Wirkung auf den Eintritt der Rechtsfolgen des § 26a Abs. 1 UStG zu.[1] Eine eigene, dem § 240 Abs. 3 AO entsprechende Regelung sieht § 26a Abs. 1 UStG nicht vor.

 

Rz. 61

Da es sich bei § 26a Abs. 1 UStG um einen Ordnungswidrigkeitentatbestand handelt, ist zur Lösung aller Fälle der Zahlungsunfähigkeit zunächst an die Anwendung des Opportunitätsgrundsatzes zu denken (Rz. 76ff.). Gemäß § 47 Abs. 1 OWiG liegt die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörden. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es auch beim Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale einstellen.[2] Mit dieser Regelung kann die Finanzbehörde zwar von einer Ahndung im Einzelfall absehen, dabei darf aber nicht willkürlich gehandelt werden.[3] Für den Bereich der Steuerordnungswidrigkeiten findet sich in der Nr. 104 der Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (AStBV Steuer 2022)[4] zunächst eine weitere Erläuterung zur Ausübung des Ermessens im Rahmen des Opportunitätsgrundsatzes, die allerdings allgemein gehalten ist und keinen direkten Bezug zu § 26a Abs. 1 UStG enthält. Insoweit ist zunächst ein Blick in die Gesetzesmaterialien geboten, denn auf die Möglichkeit der Anwendung des Opportunitätsgrundsatzes wird auch in der Gesetzesbegründung zu den früheren §§ 26b, 26c UStG hingewiesen[5], genauso wie dies bei der Gesetzesbegründung zu § 26a Abs. 1 UStG der Fall ist.[6] Als Maßstab für die Ausübung des Ermessens werden in beiden Gesetzesbegründungen allerdings nur die in § 266a Abs. 6 StGB aufgeführten – engen – Kriterien genannt[7]; damit liegt hier auch zum § 26a Abs. 1 UStG eine Art "Ermessensvorgabe" für die Anwendung des Opportunitätsgrundsatzes vor.

 

Rz. 62

Nach der Regelung des § 266a Abs. 6 StGB kann nun auf eine Ahndung einer derartigen Straftat verzichtet werden, wenn der Betroffene unverzüglich und plausibel unter Nennung der geschuldeten Beträge darlegt, warum ihm eine fristgemäße Zahlung trotz ernsthaften Bemühens darum nicht möglich ist. Des Weiteren muss er allerdings – bei Übertragung dieser Regelung – nach einer vom Finanzamt gesetzten Frist die geschuldete USt vollständig zahlen. Beim Vorliegen dieser Voraussetzungen wird die Finanzbehörde ihr Ermessen i. d. R. nur so ausüben können, dass von einer Bestrafung abzusehen ist. Dies gilt insbesondere in Fällen nur geringfügiger Fristüberschreitungen. Ausnahmen erscheinen aber denkbar, etwa wenn ein Unternehmer immer wieder mit der Bezahlung seiner geschuldeten USt in Verzug gerät. Für den Fall des zahlungsunfähigen Steuerpflichtigen kann diese Regelung jedenfalls nicht zur Straffreiheit führen, denn die Zahlung der Steuerschuld unterbleibt hier zumeist dauerhaft. Auch im Übrigen lassen sich mit diesem Ansatz die meisten umsatzsteuerrechtlich relevante Fälle nicht lösen und eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit wäre damit immer geboten. M.E. darf bei Übertragung der Regelung des § 266a Abs. 6 StGB auch nicht übersehen werden, dass damit die Anwendung eines Straftatbestandes eingeschränkt wird. Bei § 26a Abs. 1 UStG handelt es sich aber um eine Ordnungswidrigkeit, schon deshalb müssten hier wohl im Rahmen des Opportunitätsgrundsatzes mildere Maßstäbe gelten.

 

Rz. 63

Die im letzten Abs. genannten Sachverhalte der verspäteten Zahlung dürften allerdings in der Praxis eher unproblematisch sein; über eine Anwendung des § 26a Abs. 1 UStG wird hierbei durch die Finanzbehörden i. d. R. wohl kaum nachgedacht. Wesentlich praxisrelevanter und schwieriger sind die Fälle solcher Steuerpflichtiger, die mehr oder weniger selbst verschuldet nicht dazu in der Lage sind, ihre USt nach Fälligkeit vollständig an den Fiskus zu zahlen. Zu denken ist insbesondere an die Vielzahl von Vollstreckungsschuldnern, vor allem diejenigen, die wiederkehrend mit der Zahlung...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge