Rz. 23

Nach den unionsrechtlichen Vorgaben treten der Steuertatbestand und der Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird – damit ist im Unionsrecht nach Art. 63 MwStSystRL[1] die auch in Deutschland als Regeltatbestand normierte Berechnung der USt nach vereinbarten Umsätzen vorgeschrieben.[2]

 

Rz. 24

Ausnahmen von diesem Grundtatbestand ergeben sich allerdings auch nach dem Unionsrecht. Die Sonderregelung der Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten beruhte bis zum 31.12.2006 auf Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 3 zweiter Spiegelstrich der 6. EG-Richtlinie. Danach war es den Mitgliedstaaten abweichend von den Grundregelungen möglich, Regelungen zu treffen, nach denen der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder für Gruppen von Steuerpflichtigen spätestens bei der Vereinnahmung des Preises entstehen würde. Der EuGH[3] hatte zur Vereinbarkeit dieser Regelung mit einer italienischen Sonderregelung den Anwendungsbereich sehr weit gefasst und festgestellt, dass der Ausdruck "bestimmte Umsätze" in Art. 10 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie keine besondere Beschränkung enthält und damit sämtliche Arten von Dienstleistungen erfasst. In dem entschiedenen Fall ging es zwar um die Berechnung der USt für Dienstleistungen, aber es sind keine Gründe erkennbar, warum dies nicht auch für Lieferungen gelten sollte, sodass diese Grundsätze auf alle Arten von Leistungen im umsatzsteuerrechtlichen Sinne übertragen werden können.[4] Allerdings hat der EuGH[5] nachfolgend auch festgestellt, dass dies nicht zu der Annahme berechtigt, dass ein Mitgliedstaat über ein Ermessen verfügt, um für das Entstehen des Steueranspruchs einen anderen Zeitpunkt als einen der in der MwStSystRL vorgesehenen zu bestimmen. Deshalb kann weder aus der Rechtsprechung noch aus dem Unionsrecht eine generelle Ist-Besteuerung abgeleitet werden[6], selbst wenn dies sowohl aus systematischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll wäre.

 

Rz. 25

Zum 1.1.2007 wurden die bisher unionsrechtlich vorhandenen Vorschriften der 6. EG-Richtlinie in die MwStSystRL überführt. Dabei sind die inhaltlichen Regelungen des Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 3 zweiter Spiegelstrich der 6. EG-Richtlinie in Art. 66 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL (Kannbestimmung) übernommen worden. Inhaltliche Änderungen haben sich durch die Neufassung nicht ergeben. Nach Art. 66 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL können Mitgliedstaaten Regelungen treffen, nach denen der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen spätestens bei der Vereinnahmung des Preises entsteht. Da Art. 66 MwStSystRL eine Abweichung von der in Art. 63 MwStSystRL vorgesehenen Grundregelung darstellt, ist er eng auszulegen.[7]

 

Rz. 26

Allerdings ist Art. 66 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL im Zusammenhang mit der Möglichkeit der vereinfachten Besteuerung von Kleinunternehmern zu sehen. Nach Art. 281 MwStSystRL können Mitgliedstaaten unter den von ihnen festgelegten Beschränkungen und Voraussetzungen vereinfachte Modalitäten für die Besteuerung und Steuererhebung von Kleinunternehmern festlegen, wenn die Besteuerung der Kleinunternehmer wegen deren Tätigkeit oder Struktur auf Schwierigkeiten stoßen würde. Dazu ist jedoch die Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses der Europäischen Union notwendig, die Vereinfachungsregelungen dürfen dabei nicht zu einer Steuerermäßigung führen.

 

Rz. 27

Die Berechnung der USt nach vereinnahmten Entgelten führt lediglich zu einer späteren Entstehung der USt, eine Verringerung der durch den Unternehmer zu entrichtenden USt ist mit dieser Sonderregelung nicht verbunden, sodass eine Ermäßigung i. S. d. Unionsrechts nicht vorliegt. Die Regelung des § 20 UStG kann daher im Grundsatz nach den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 66 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL und vor dem Hintergrund der auch zur Vorgängerregelung der 6. EG-Richtlinie ergangenen Rechtsprechung des EuGH[8] als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen werden.[9]

Auch die zum 1.1.2023 erfolgte Erweiterung der Anwendung der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten auf bestimmte juristische Personen des öffentlichen Rechts – soweit keine Bücher geführt werden – kann wohl noch als mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar angesehen werden. Allerdings stellt sich die Frage, bis wann die enge Auslegung und Beschränkung auf "Gruppen von Steuerpflichtigen" bei einer weiteren Ausweitung der Regelung noch den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts entsprechen kann.

 

Rz. 27a

Der BFH[10] hatte 2017 den EuGH in einem Verfahren zur Entstehung der USt angerufen, in dem er unionsrechtliche Zweifel an den Grundsätzen der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (Regelbesteuerung) äußerte. Insbesondere fragte er nach der unionsrechtlichen Zulässigkeit, wenn Unternehmer bei gestreckten Zahlungsvereinbarungen die USt mehrere Jahre vorfinanzieren müssen. Der EuGH[11] ist aber auf die grundsätzlichen unionsrechtlichen Zweifel nicht eingegangen.

[1] Bis 31.12.2006 Art. 10 Abs. 2 der 6. ...

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