rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlass von Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer bei gutgläubiger Einfuhr unversteuerter und unverzollter Zigaretten durch einen LKW-Fahrer. Feststellungslast für die Gutgläubigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Verbringen i. S. d. § 19 S. 2 TabStG ist als reine Tathandlung zu verstehen, d. h. als ein Tun, das bewirkt, dass Waren in das Steuergebiet eines anderen Staates gelangen. Auf Vorstellungen oder ein Verschulden des Handelnden kommt es dabei nicht an. Ebenso ist es unerheblich, dass die betreffenden Waren durch Dritte möglicherweise ohne Wissen des Fahrzeugführers in dem Fahrzeug untergebracht oder versteckt worden sind.

2. Die Gutgläubigkeit ist ein Gesichtspunkt der sachlichen Billigkeit, der in Fällen der vorliegenden Art umso mehr in Erwägung zu ziehen ist, als ein gutgläubiger Fahrer des jeweiligen Transports materiell-rechtlich als Verbringer und damit als Abgabenschuldner anzusehen ist. Ein Erlass aus Billigkeitsgründen kommt jedoch nur bei einem „nachweislich unwissenden Verbringer” in Betracht.

3. Die Feststellungslast für die behauptete Gutgläubigkeit liegt bei demjenigen, der den Erlass begehrt. Verbleibende Zweifel am Bestehen der Gutgläubigkeit gehen zu seinen Lasten.

4. Unbilligkeit aus persönlichen (wirtschaftlichen) Gründen kann auch bestehen, wenn zwar die Durchsetzung des Steueranspruchs ausgeschlossen ist, die Rückstände den Steuerpflichtigen aber hindern, eine neue Erwerbstätigkeit zu beginnen und sich so eine eigene, von Sozialhilfeleistungen unabhängige wirtschaftliche Existenz aufzubauen.

5. Der Erlass von Einfuhrumsatzsteuer aus Billigkeitsgründen richtet sich nach den Vorschriften des Zollkodex, welche die nationalen Vorschriften zum Erlass aus Billigkeitsgründen überlagern.

 

Normenkette

TabStG § 21 Abs. 3 S. 2, § 19 S. 2; AO §§ 227, 5; UStG § 21 Abs. 2; ZK Art. 239; EWGV 2913/92 Art. 239

 

Tenor

1. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom ….2014 und des ablehnenden Verwaltungsakts vom ….2013 wird der Beklagte verpflichtet, über den Erlassantrag des Klägers hinsichtlich Tabaksteuer i.H. von … EUR und hinsichtlich des Zolls i.H. von … EUR unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

 

Tatbestand

Im Rahmen einer am …2005 durchgeführten Zollkontrolle wurden in der Ladung des vom Kläger (polnischer Staatsangehöriger, Wohnsitz in Polen) geführten LKW mit dem polnischen Kennzeichen … insgesamt 1.599.760 Stück unverzollte und unversteuerte Zigaretten (1.591.800 Stück Marke… ohne Steuerzeichen sowie 7.960 Stück verschiedener Marken mit ukrainischen Steuerzeichen) festgestellt, untergebracht in mehreren Kartons, die zwischen die eigentliche Fracht (Kartons mit Plastikrohren/Abwasserrohren) gepackt worden waren. Der Kläger hat den Tatvorwurf in seiner Vernehmung vom … bestritten und angegeben, keine Kenntnis von den im Laderaum festgestellten Zigaretten gehabt zu haben.

Im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung erklärte er: Bei dem vorliegenden Transport habe es sich um seine erste große Fahrt gehandelt, für die er 1.000 Zloty auf die Hand erhalten sollte. Zu dem Auftrag sei er gekommen über eine Zeitungsanzeige der Fa. „X” (Polen). Seine finanzielle Situation habe ihn zur Annahme des Auftrags veranlasst. Er habe 13.000 Zloty Mietschulden bei dem Eigentümer einer Gaststätte, die er gepachtet habe. Der bereits beladene LKW, die Frachtpapiere und der Arbeitsvertrag seien ihm durch Herrn Y, mit dem er bis dahin nur in telefonischem Kontakt gestanden habe, an einer Tankstelle in der Nähe von Z (Polen), „an der Auffahrt in Richtung Grenze”, übergeben worden. Dort habe er sich die Ladefläche angesehen und die Anzahl der Paletten mit den Angaben in den Frachtpapieren verglichen. Ein Tabakgeruch, wie ihn die Kontrollbeamten auf der Ladefläche wahrgenommen haben, sei ihm nicht aufgefallen. Die Ladung habe ganz legal ausgesehen, weshalb er keinen Verdacht gehabt habe, dass etwas nicht in Ordnung gewesen sei.

Er habe die Ware nach A (Frankreich) bringen sollen. Bei Ankunft in Frankreich hätte ihn Herr Y, von dem er keine Telefonnummer habe, auf einem seiner zwei mitgeführten privaten Handys anrufen sollen. Im Anschluss hätte ihn ein Mitarbeiter der polnischen Versenderfirma auf einem Autobahnparkplatz zwischen B (Frankreich) und A (Frankreich) abgeholt. Um die Entladung des LKW habe er sich nicht kümmern sollen. Schließlich habe er mit dem leeren LKW nach Polen zurückkehren und ihn am Übergabeort abgeben sollen. Wegen der Einzelheiten wird verwiesen auf die Niederschrift des ZFA über die Beschuldigtenvernehmung des Klägers (Behördenakte Bl. 35 ff.) sowie auf die festgestellten Dokumente (Behördenakte Bl. 22 ff.).

Im Rahmen weiterer Ermittlungen wurde festgestellt, dass es sich bei den – zwischenzeitlich vernichteten – Zigaretten der Marke … um Fälschungen gehandelt hat.

Durch das polnische Finanzministerium wurde mitgeteilt (vgl. Schreiben vom …,...

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