Leitsatz

Fallen Ertragsteuern an, weil die Erben nach dem Tode des Betriebsinhabers dessen Betrieb aufgebenen haben, sind das keine Erblasserschulden im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG. Werden nach Erlass des Erbschaftsteuerbescheides Nachlassverbindlichkeiten in Gestalt von Einkommensteuerschulden deshalb höher, weil dem Finanzamt im Rahmen einer Betriebsprüfung ein höherer Entnahmewert bekannt wird, ist dies kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.

 

Sachverhalt

Nach dem Tode eines selbständigen Architekten im Jahre 1993 gab dessen Sohn und Erbe dessen Architekturbüro auf und erklärte einen Aufgabegewinn, der insbesondere aus der Entnahme eines Betriebsgrundstück in das Privatvermögen herrührte. Die hierdurch 1993 ausgelöste Einkommensteuer wurde im Rahmen des endgültigen Erbschaftsteuerbescheides vom 23.7.1996 als Nachlassverbindlichkeit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG erfasst und anerkannt. Aufgrund einer 1998 durchgeführten Betriebsprüfung, die sich auch auf die Betriebsaufgabe bezog, änderte das Finanzamt den unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid 1993 und erhöhte den Entnahmegewinn. Da der Erbschaftsteuerbescheid schon bestandskräftig und überdies die Festsetzungsfrist gem. §§ 169, 170 AO am 31.12.1997 abgelaufen war (Abgabe der Erbschaftsteuererklärung noch im Jahre 1993), kam eine Änderung des Erbschaftsteuerbescheides nur noch in Betracht, wenn die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1993 als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen war. Einen entsprechenden Antrag des Klägers lehnte das Finanzamt ab.

 

Entscheidung

Das Finanzgericht Münster wies die Klage mit einer doppelten Begründung zurück: Zunächst hatte das FG schon Zweifel, dass die durch den geänderten Einkommensteuerbescheid 1993 erhöhte Einkommensteuerschulden überhaupt Erblasserschulden im Sinne des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG und somit als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig seien. Zu den Erblasserschulden gehören Schulden, die schon zu Lebzeiten des Erblassers entstanden waren, mit dem Erbfall entstehen oder zwar nach dem Erbfall entstehen, für die aber zu Lebzeiten des Erblassers der Grund gelegt war. Die Entscheidung, das Architekturbüro aufzugeben, habe der Kläger nach dem Erbfall getroffen. Erst das vom Kläger ausgeübte Wahlrecht, die Betriebsaufgabe zu erklären, habe die Entstehung des Aufgabegewinns gem. § 18 Abs. 3 EStG ausgelöst. Intensiver befasst sich der Senat mit der Frage, ob die Voraussetzungen für eine Änderung des Erbschaftsteuerbescheides gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorlägen. Diese Frage hat der Senat verneint. In Anlehnung an die Entscheidung des großen Senats des BFH vom 19.7.1993 (GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897) führt das FG aus, dass ein solches "Ereignis" alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge umfassen könne. Solche müssten sich aber ereignen, nachdemder Steueranspruch entstanden ist und bei Änderung eines Steuerbescheides, nachdem dieser Steuerbescheid ergangen ist. In Abgrenzung zu § 173 Abs. 1 AO genüge nicht, dass das Finanzamt nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt oder wenn das Finanzamt den Sachverhalt lediglich anders würdigt. Die Frage der "Nachträglichkeit" wieder bestimme sich nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (so Großer Senat a.a.O., 901). Nach diesem materiellen Recht ist zu prüfen, ob zum einen eine Änderung des ursprünglich gegebenen Sachverhalts den Steuertatbestand überhaupt betrifft und ob darüber hinaus der bereits entstandene materielle Steueranspruch mit steuerlicher Rückwirkung noch geändert oder entfallen kann. Geht man davon aus, dass die hier fraglichen Steuerschulden überhaupt unter § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG fallen, seien die nunmehr festgesetzten Einkommensteuerschulden bei Erlass des Erbschaftsteuerbescheides bereits vollumfänglich entstanden gewesen. Soweit dem Kläger damals die Einkommensteuerschulden bekannt waren, waren sie auch im endgültigen Erbschaftsteuerbescheid auch bereits erfasst. Die Erhöhung der Einkommensteuerschulden beruhten darauf, dass im Zuge der Betriebsprüfung der Entnahmewert des Betriebsgrundstücks deutlich höher geschätzt wurde. Die Werterhöhung habe aber ihre Ursache nicht in Umständen, die erst später den Wert beeinflusst hätten, sondern die dafür maßgebenden Umstände hätten bereits im Zeitpunkt des Erbfalls vorgelegen, und das Finanzamt habe lediglich erst aufgrund der Betriebsprüfung Kenntnis von dem zutreffenden Entnahmewert erhalten. Die nachträgliche Kenntniserlangung von einem bereits gegebenen Sachverhalt erfülle aber nicht die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, sondern unterliege dem Regelungsbereich des § 173 AO. Da das maßgebliche Ereignis schon vor Ergehen der Erbschaftsteuerfestsetzung, deren Änderung begehrt wird, vorgelegen habe, könne sich der Kläger nicht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO berufen. Wegen einer möglichen Abweichung zum Urteil des BFH vom 19.8.1999 (IV R 73/98, BStBl. II 2000, 18) hat das Finanzg...

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