Leitsatz

Prozesszinsen nach § 236 AO erhält der Feststellungsbeteiligte, dessen ESt-Festsetzung aufgrund der gerichtlichen Anfechtung eines Grundlagenbescheids durch einen früheren Mitgesellschafter einer KG geändert wird, selbst dann, wenn er nicht Beteiligter im Verfahren gegen den Grundlagenbescheid war.

 

Normenkette

§ 236 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger war Kommanditist einer inzwischen vollbeendeten KG. Ein anderer Kommanditist erhob gegen die die KG betreffenden Gewinnfeststellungsbescheide 1974 und 1975 Klage. Während des Klageverfahrens erließ das FA geänderte Gewinnfeststellungsbescheide, mit denen es dem Klagebegehren entsprach und wodurch sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigte.

In der Folgezeit setzte das FA die gegen den Kläger für 1974 und 1975 festgesetzten ESt in gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten ESt-Bescheiden herab. Die bislang zuviel gezahlten ESt wurden dem Kläger erstattet.

Der Kläger begehrte, die Erstattungsansprüche gem. § 236 AO zu verzinsen. Das FA lehnte das ab. Das FG wies die dagegen erhobene Klage ab (EFG 2006, 1398). Die Revision des Klägers war erfolgreich.

 

Entscheidung

Dem Kläger stünden Prozesszinsen gem. § 236 AO zu. Dabei sei ohne Belang, ob der Kläger selbst gegen die Gewinnfeststellungsbescheide der vollbeendeten KG mit Erfolg geklagt habe oder ob dieser Klageerfolg lediglich auf die Klage eines anderen Kommanditisten (Feststellungsbeteiligten) zurückzuführen gewesen sei.

Entscheidend sei insoweit allein, dass der erfolgreich geführte Rechtsstreit für die Herabsetzung der ESt des Klägers kausal geworden sei.

Die in § 236 Abs. 2 AO angeordnete entsprechende Anwendung des § 236 Abs. 1 AO gebiete es, den Streitfall anders zu behandeln als die Fälle eines Musterverfahrens, wonach ein Steuerpflichtiger, dessen Einspruchsverfahren im Hinblick auf ein von einem anderen Steuerpflichtigen angestrengtes Musterverfahren ausgesetzt worden sei, bei einem günstigen Ausgang dieses Prozesses ebenso wenig einen Anspruch auf Prozesszinsen habe (vgl. BFH, Urteil vom 31.10.1974, IV R 160/69, BStBl II 1975, 370) wie wenn die Steuerfestsetzung wegen eines Musterverfahrens für einen anderen Steuerabschnitt zugunsten des Steuerpflichtigen geändert werde. Für diese Fälle fehle es an einer Anordnung der entsprechenden Anwendung des § 236 Abs. 1 AO.

 

Hinweis

Auch nach Einführung der Vollverzinsung nach Maßgabe des § 233a AO gibt es keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass rückständige Staatsleistungen (angemessen) zu verzinsen sind. Das Gesetz kennt vielmehr nur die Verzinsung auf der Grundlage genau umschriebener Tatbestände (BFH, Urteil vom 29.4.1997, VII R 91/96, BStBl II 1997, 476). Dazu gehört die Vorschrift betreffend Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge (§ 236 AO). Deren Zweck besteht darin, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 13.7.1994, I R 38/93, BStBl II 1995, 37).

Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der BFH im Besprechungsurteil dem Kläger m.E. zu Recht einen Anspruch auf Prozesszinsen gewährt, obwohl er selbst nicht gegen den Grundlagenbescheid geklagt hatte (ebenso auch die h.M. im Schrifttum; vgl. z.B. Loose in Tipke/Kruse, AO, FGO, § 236 Rz. 28; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, § 236 AO Rz. 236 Rz. 33). Dieses Ergebnis gebietet nicht zuletzt auch der Grundsatz der verfahrensrechtlichen Symmetrie ("Waffengleichheit"). Denn wäre der angefochtene Feststellungsbescheid aufgrund des (von einem anderen Kommanditisten) angestrengten Klageverfahrens ausgesetzt und die Klage sodann später abgewiesen worden, so hätte auch der Kläger, dessen ESt-Bescheid in der Folge der für alle (auch der nicht klagenden) Feststellungsbeteiligten wirkenden Aussetzung des Grundlagenbescheids (Gewinnfeststellungsbescheids) ebenfalls ausgesetzt worden wäre (vgl. § 361 Abs. 3 Satz 1 AO;§ 69 Abs. 2 Satz 4 FGO), Aussetzungszinsen nach § 237 AO entrichten müssen.

Zutreffend weist das Besprechungsurteil überdies auf die prozessökonomische Wirkung der Entscheidung hin.

Könnten nur die (Haupt-)Beteiligten (Kläger) im Verfahren gegen den Grundlagenbescheid Prozesszinsen verlangen, würden nicht nur die FG, sondern auch die Steuerpflichtigen und Finanzbehörden mit einer Vielzahl vermeidbarer Prozesse belastet.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 17.1.2007, X R 19/06

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