Leitsatz

1. Eine (willentliche) Veräußerung i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG kann auch dann vorliegen, wenn der Ehegatte seinen Miteigentumsanteil an dem im Miteigentum beider Ehepartner stehenden Einfamilienhaus vor dem Hintergrund der drohenden Zwangsvollstreckung im Rahmen einer Scheidungsfolgenvereinbarung (entgeltlich) auf seinen geschiedenen Ehepartner innerhalb der Haltefrist überträgt.

2. Der Ehegatte nutzt seinen Miteigentumsanteil nach dem Auszug aus dem Familienheim nicht mehr zu eigenen Wohnzwecken i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG, wenn der geschiedene Ehepartner und das gemeinsame minderjährige Kind weiterhin dort wohnen.

 

Normenkette

§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger und seine Ehefrau erwarben ein bebautes Grundstück zu Miteigentum und bewohnten es mit dem gemeinsamen Sohn. Nach seinem Auszug veräußerte der Kläger seinen hälftigen Miteigentumsanteil an seine geschiedene Ehefrau mit Gewinn. Das FA bejahte ein privates Veräußerungsgeschäft. Das FG hat die Klage abgewiesen (FG München, Urteil vom 11.3.2021, 11 K 2405/19, Haufe-Index 14616422, EFG 2021, 1625).

 

Entscheidung

Auch die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg. Der BFH hat die tatsächliche Würdigung des FG nicht beanstandet, wonach der Kläger willentlich veräußert hat. Der Motivlage komme, abgesehen von den Fällen, in denen der Verlust des Eigentums (aufgrund eines Hoheitsakts) der freien Willensentschließung des Steuerpflichtigen entzogen sei, regelmäßig keine Relevanz zu. Auch der Befreiungstatbestand sei nicht erfüllt. Dass der minderjährige Sohn das Haus nach dem Auszug des Klägers weiter genutzt habe, sei dem Kläger nicht als Nutzung zu eigenen Wohnzwecken zurechenbar, da auch die geschiedene Ehefrau dort gewohnt habe. Dies verhindere die Zurechnung der Wohnnutzung durch den zu berücksichtigenden Sohn als eigene.

 

Hinweis

1. Der entgeltliche Erwerb, die Anschaffung, und die entgeltliche Übertragung des nämlichen Wirtschaftsguts auf eine andere Person, die Veräußerung, müssen wesentlich vom Willen des Steuerpflichtigen abhängen und mithin Ausdruck einer "wirtschaftlichen Betätigung" sein. Daran fehlt es, wenn der Steuerpflichtige "unter Zwang" gehandelt hat. Ob dies der Fall war, ist im Wesentlichen Tatfrage, die das FG nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls zu entscheiden hat.

a) An einer Veräußerung fehlt es danach, wenn das Eigentum gegen Entschädigung oder Übereignung eines Ersatzwirtschaftsguts gegen den Willen des Betroffenen entzogen wird.

b) Für die Zwangsvollstreckung ist entschieden, dass der Erwerber ein Anschaffungsgeschäft verwirklicht, auch wenn das Eigentum durch Zuschlagsbeschluss kraft Gesetzes auf ihn übergeht. Für den Verlust des Eigentums durch Zuschlagsbeschluss steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus.

c) Die vom Kläger im Streitfall behauptete drohende Zwangsversteigerung genügte dem BFH jedenfalls nicht, um von einer die freie Willensentschließung ausschließenden Zwangslage auszugehen, auch wenn dadurch zumindest der Zeitpunkt der Veräußerung von außen vorgegeben wird.

2. Anlass für den zweiten Streitpunkt war eine ältere, noch zu § 10e EStG a.F. und dem EigZulG ergangene Rechtsprechung des BFH, wonach eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auch vorliegt, wenn der Steuerpflichtige eine Wohnung einem zu berücksichtigenden Kind zur teilweisen oder alleinigen Nutzung unentgeltlich überlässt, weil es ihm im Rahmen seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung insoweit obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen. Diese Rechtsprechung hat der BFH nun unter Berücksichtigung des Normzwecks des § 23 EStG für die unentgeltliche Überlassung an mehrere Personen eingeschränkt:

a) Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken liegt beim Überlassenden nur vor, wenn alle Nutzer zu berücksichtigende Kinder sind.

b) Überlässt der Steuerpflichtige die Wohnung einem zu berücksichtigenden Kind und z.B. der getrennt lebenden Ehefrau, liegt beim Überlassenden keine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken mehr vor.

c) Wird der Miteigentumsanteil an einem bebauten Grundstück veräußert, ist für Zwecke der Befreiungsregel in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG auf die Nutzung des Gebäudes abzustellen. Ein ideeller Miteigentumsanteil lässt sich nicht gegenständlich konkretisieren und mit einer konkreten Nutzung in Zusammenhang bringen; er ist insbesondere nicht "bewohnbar".

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 14.2.2023 – IX R 11/21

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