Leitsatz

1. Die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers für die Umsätze der Organschaft ist unionsrechtskonform (Anschluss an EuGH-Urteil Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie vom 01.12.2022 – C‐141/20, EU:C:2022:943).

2. Zwar erfordert die finanzielle Eingliederung i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG im Grundsatz, dass dem Organträger die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht. Eine finanzielle Eingliederung liegt aber auch dann vor, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt (Änderung der Rechtsprechung).

 

Normenkette

§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 UStG, Art. 4 Abs. 1, Abs. 4 Unterabs. 2 6. EG-RL (= EWGRL 388/77)

 

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob im Jahr 2005 (Streitjahr) eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft zwischen A als Organträgerin und der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) als Organgesellschaft bestand.

Die Klägerin ist eine GmbH. Gesellschafter der Klägerin sind die Körperschaft A (zu 51 %) und der C e.V. (zu 49 %). Alleiniger Geschäftsführer der Klägerin war im Streitjahr E, der zugleich alleiniger Geschäftsführer der A und geschäftsführender Vorstand des C e.V. war.

Die Klägerin legte dem Beklagten und Revisionskläger (FA) zwei Entwürfe eines Gesellschaftsvertrags (Version 1 und 2) vor. Das FA teilte 2014 mit, dass nur die Version 2 die Anforderungen an die finanzielle Eingliederung erfülle. Im Jahr 2005 beurkundet und ins Handelsregister eingetragen wurde jedoch Version 1. Danach verfügte A über keine Stimmrechtsmehrheit. Eine noch im Jahr 2005 beschlossene Änderung wurde erst im Jahr 2010 formwirksam vorgenommen und ins Handelsregister eingetragen.

Nach einer Außenprüfung verneinte das FA das Vorliegen einer Organschaft im Streitjahr. Die im Streitjahr von der Klägerin ausgeführten Umsätze gegenüber Dritten und gegenüber A seien damit bei der Klägerin als Unternehmerin zu erfassen. Gleichzeitig stehe ihr der Vorsteuerabzug zu.

Der Einspruch, zu dem A hinzugezogen wurde, blieb erfolglos.

Das FG (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 6.2.2018, 4 K 35/17, Haufe-Index 11740400, EFG 2018, 1138) gab der Klage statt. Das FA habe zu Unrecht das Vorliegen einer Organschaft zwischen der Klägerin als Organgesellschaft und A als Organträgerin abgelehnt. Die finanzielle Eingliederung ergebe sich zwar (noch) nicht aus der im Streitjahr noch nicht wirksamen Version 2 des Gesellschaftsvertrags. Die Klägerin sei jedoch auch auf der Grundlage der Version 1 finanziell in das Unternehmen der A eingegliedert gewesen. Ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft sei keine notwendige Voraussetzung für die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe i.S.d. Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL. Die Mehrheitsbeteiligung der A an der Klägerin ermögliche die rechtssichere Bestimmung der A als Organträgerin, da der C e.V. als Minderheitsgesellschafter von der Stellung als Organträger ausgeschlossen sei.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA nach einer EuGH-Vorlage (BFH, Beschluss vom 11.12.2019, XI R 16/18, BFH/PR 2020, 206), der Antwort des EuGH (EuGH, Urteil vom 1.12.2022, C-141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie, BFH/NV 2023, 253, MwStR 2022, 880 mit Anmerkungen Ismer, Oelmaier und Sterzinger) und einer Divergenzanfrage als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Das Besprechungsurteil bringt teilweise abschließende Klarheit für den Bereich der deutschen Organschaft:

  • Deutschland hat unionsrechtlich zulässig den Organträger zum Steuerpflichtigen bestimmt, wenn§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und das deutsche Verfahrensrecht so ausgelegt werden, dass der Organträger seinen Willen durchsetzen kann und Steuerverluste vermieden werden.
  • Eine Anteilsmehrheit begründet eine schwach ausgeprägte finanzielle Eingliederung, weil sie verhindert, dass es in der Gesellschafterversammlung zu einer vom Willen des Organträgers abweichenden Willensbildung kommen kann.
  • Besteht neben einer schwach ausgeprägten finanziellen Eingliederung eine stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung, liegt eine Organschaft vor.
  • Eine Organschaft zwischen Schwestergesellschaften ist ausgeschlossen.

2. Außerdem geklärt ist durch die Rechtsprechung des EuGH, dass unentgeltliche Innenumsätze innerhalb des Organkreises (d.h. in den unternehmerischen Bereich oder den nichtunternehmerischen Bereich, der nicht unternehmensfremd ist) nicht besteuert werden (EuGH, Urteil vom 1.12.2022, C-269/20, Finanzamt T, Haufe-Index 15473567, MwStR 2022, 891, mit Anmerkungen Ismer, Oelmaier und Sterzinger).

Steuerbarkeit von Innenumsätzen

Sollte der EuGH die Auffassung vertreten, dass Innenumsätze gegen Entgelt steuerbar sind, werden Organschaften (Mehrwertsteuergruppen) vermutlich auf nicht zu besteuernde unentgeltliche Innenumsätze"ausweichen", falls sie das nicht schon...

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