Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung des Steuergeheimnisses bei Steueraktenübersendung an Staatsanwaltschaft im Strafverfahren gegen Finanzbeamten wegen übler Nachrede?

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Entgegen der Auffassung, die in einem Teil der Kommentarliteratur vertreten wird, dass bei Straftaten im Amt das erforderliche zwingende öffentliche Interesse im Allgemeinen zu bejahen sei, rechtfertigt die bloße Stellung eines Beschuldigten als Amtsträger bei der Begehung einer Straftat nicht bereits eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses wegen eines zwingenden öffentlichen Interesses. Nach der in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers muss es sich zumindest um solche Taten erheblichen Gewichts handeln, wie sie im StGB im 30. Abschnitt als „Straftaten im Amt” zusammengefasst sind, aber nicht solche von geringerem Gewicht, wie sie insbesondere von Gesetzes wegen nach § 374 StPO auf den Weg der Privatklage verwiesen sind (hier: Ermittlungen gegen Finanzbeamten wegen des Verdachts auf üble Nachrede gegenüber einem Steuerpflichtigen und dessen Steuerberater).

2. Grundsätzlich obliegt die Beurteilung, ob ein Rechtfertigungsgrund für die Offenbarung der geschützten Verhältnisse vorliegt, nicht der antragenden Stelle (hier: Staatsanwaltschaft), sondern dem um Offenbarung ersuchten Amtsträger. Dieser kann dabei an Weisungen – z. B. seiner vorgesetzten Dienstbehörde – gebunden sein. Die Weisung steht ggf. der vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung des Steuergeheimnisses durch den angewiesenen Amtsträger entgegen.

 

Normenkette

AO § 30; StGB §§ 355, 186

 

Tenor

1. Die Aufnahme von Ermittlungen gegen den Beschuldigten C wegen des Verdachts der Verletzung des Steuergeheimnisses (§ 355 Abs. 1 StGB) wird angeordnet.

2. Die Staatsanwaltschaft Essen wird ersucht, die angeordneten Ermittlungen durchzuführen.

 

Tatbestand

I.

Mit dem am 11. September 2006 bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom selben Tage wendet sich der Antragsteller gegen den Bescheid des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 3. August 2006, mit dem die Beschwerde des Antragstellers vom 17. März 2006 gegen den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Essen vom 7. März 2006 zurückgewiesen worden ist.

Durch Beschluss vom 31. Mai 2007 hat der Senat diesen Antrag insoweit als unzulässig verworfen, als er die Bediensteten des Finanzamtes I, die Herren L und A und Frau G, betrifft.

Soweit der Antrag im Übrigen den beschuldigten Bediensteten des Finanzamtes I, Herrn C, betrifft, entspricht der Antrag noch den Formerfordernissen des § 172 Abs. 2 StPO und ist insgesamt zulässig. Er führt zur Anordnung der Aufnahme der durch die Staatsanwaltschaft eingestellten Ermittlungen gegen diesen Beschuldigten wegen des Verdachts der Verletzung des Steuergeheimnisses gemäß § 355 Abs. 1 StGB. Der Beschuldigte soll sich nach dem Vorbringen des Antragstellers wegen folgenden – zusammengefassten – Sachverhalts strafbar gemacht haben:

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens 301 Js 324/05 der StA Essen hatte die Steuerberaterin des Antragstellers, Frau T, unter dem 23. Mai 2005 Strafanzeige gegen verschiedene Mitarbeiter des Finanzamtes I wegen übler Nachrede erstattet, nach der im Rahmen der Einspruchsentscheidung des Finanzamtes I vom 12. Mai 2005 in einer Steuersache des Antragstellers folgendes ausgeführt worden ist:

„Aufgrund dieser Feststellungen hat die Staatsanwaltschaft Essen unter dem Aktenzeichen 301 Js 219/03 ein Strafverfahren gegen den Einspruchsführer und seine steuerliche Beraterin eröffnet, und zwar gegen den Einspruchsführer wegen Verstoß gegen das Ausländergesetz und Sozialversicherungsbetruges und gegen die steuerliche Beraterin wegen vorsätzlicher Beihilfe zu diesen Straftaten.”

Im Zuge des nachfolgend eröffneten Ermittlungsverfahrens forderte der zuständige Dezernent der Staatsanwaltschaft Essen die Steuerakten des Antragstellers beim Finanzamt I zur Einsicht an; diesem Begehren war der Antragsteller zuvor mit Schreiben an das Finanzamt I im Juni 2005 entgegengetreten. Mit Schreiben vom 3. August 2005 übersandte der Beschuldigte C – in teilweise neutralisierter Fassung – sowohl den Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 04.03.2005 als auch die nicht anonymisierte Fassung der Einspruchsentscheidung des Finanzamtes I gegen den Antragsteller vom 12. Mai 2005 in Kopie an die Staatsanwaltschaft Essen.

Durch die Übersendung dieser Schriftstücke und die damit einhergehende Offenbarung seiner steuerlichen und persönlichen Verhältnisse sieht der Antragsteller das Steuergeheimnis zu seinen Lasten verletzt. Die Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2005 enthält nähere Angaben und Einzelheiten zu den steuerlichen und persönlichen Verhältnissen des Antragstellers und zum Gegenstand der Ermittlungen des Arbeitsamtes I1 und des Hauptzollamtes E gegen den Antragsteller im Zusammenhang mit dem Vorwurf der illegalen Beschäftigung eines polnischen Arbeitnehmers, zur steuerlichen Auswertung dieser Feststellungen, zum Inhalt des Haftungsbes...

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