Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung bei Betriebsübernahme

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Haftung nach § 75 AO setzt den Erwerb eines Unternehmens im Ganzen voraus, d.h. den Übergang der durch das Unternehmen repräsentierten organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die dem Unternehmen dienen oder mindestens seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, so dass der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann.
  2. Wird ein wesentlicher Teil der im Anlagevermögen des Unternehmens gehaltenen Maschinen nicht übernommen, liegt keine Übernahme des Unternehmens im Ganzen vor, weil wesentliche Teile der Betriebsgrundlagen nicht übergehen.
  3. Für die Beurteilung, ob ein Unternehmen im Ganzen übertragen worden ist, sind Vorgänge, die in unmittelbarem zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Übergabe stehen, zu berücksichtigen, auch wenn sie zeitlich vor der Übergabe liegen.
 

Normenkette

AO § 75

 

Streitjahr(e)

1994, 1995, 1996

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 07.11.2002; Aktenzeichen VII R 11/01)

 

Tatbestand

Verfahrensgegenstand sind der Haftungsbescheid des Beklagten (Finanzamt – FA -) vom 14. Juni 1995 (Bl. 19-24 Gerichtsakte) und der dazu ergangene Einspruchsbescheid vom 23. Januar 1997 (Bl. 25-30 Gerichtsakte).

Streitig ist, ob das FA die Klägerin zu Recht als Betriebsübernehmerin für Steuerschulden der…in Haftung genommen hat.

Frau…betrieb ein landwirtschaftliches Lohnunternehmen, das auch Tiefbauarbeiten ausführte. Wegen erheblicher Steuerrückstände untersagte der Landkreis…mit Verfügung vom 15. Juni 1994 (Bl. 76-81 Gerichtsakte) die Ausübung des Gewerbes. Frau…hatte auch erhebliche Darlehensverbindlichkeiten, denen nicht in entsprechendem Umfang Vermögensgegenstände gegenüber standen. Dennoch bezeichnete sie in einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Gewerbeuntersagung vom 07. Juli 1994 (Bl. 82-87 Gerichtsakte) die Lage ihres Unternehmens als lediglich vorübergehenden wirtschaftlichen Engpass.

Am 13. Oktober 1994 meldete Frau…das Gewerbe ab. Eine Aufgabebilanz erstellte sie nicht. Ihr Sohn gründete mit Vertrag vom selben Tag die Klägerin, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer er ist.

Laut Rechnungen vom 31. Oktober, 30. November und 30. Dezember 1994 (Bl. 30-32 der vorgelegten Haftungsakte) verkaufte Frau…20 Landmaschinen aus ihrem Betriebsvermögen zum Preis von insgesamt 291.000 DM zuzüglich Umsatzsteuer an die Klägerin. Weitere 15 Maschinen übernahm die Klägerin unentgeltlich. Diese 35 Maschinen waren nach einer in der letzten von Frau…erstellten Bilanz auf den 31. Dezember 1992 mit einem Buchwert von insgesamt 293.773 DM ausgewiesen worden. Sie hatten im Sicherungseigentum der Volksbank…eG gestanden, die der Veräußerung durch Frau…zugestimmt hatte (s. Schreiben der Volksbank…eG vom 08. Juni 1995, Bl. 60 Gerichtsakte).

Von den übrigen zu diesem Bilanzstichtag im Anlagevermögen des Unternehmens der Frau…gehaltenen Maschinen wurden 35 unter Eigentumsvorbehalt erworbene Geräte wegen offener Kaufpreisforderungen im Sommer und Herbst 1994 an den Lieferanten zurückgegeben, zehn wurden anderweitig im Jahr 1993 verkauft und 15 1993 oder 1994 verschrottet. Die an die Lieferanten zurückgegebenen Maschinen hatten zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1992 einen Buchwert von 266.717 DM.

Frau…hatte für den Betrieb ihres Unternehmens ein im Eigentum ihres Ehemanne…stehendes Grundstück unentgeltlich genutzt. Auch die Klägerin nutzte das Betriebsgrundstück zunächst unentgeltlich. Mit Vertrag vom 18. Januar 1995 erwarb der Geschäftsführer der Klägerin das weiterhin von der Klägerin genutzte Grundstück von seinem Vater.

Die Klägerin führte ihr Unternehmen unter der gleichen Anschrift und Telefonnummer wie zuvor Frau…Sie übernahm im wesentlichen den Kundenstamm von deren Einzelunternehmen und stellte die zuvor von…entlassenen Arbeitnehmer ein. Außerdem erwarb die Klägerin 1994 weitere Landmaschinen für 64.365 DM zuzüglich Umsatzsteuer von Dritten.

Nach einem Aktenvermerk des FA vom 26. April 1995 (Bl. 35 Haftungsakte) erklärte der Geschäftsführer der Klägerin an jenem Tag gegenüber dem FA, dass die Klägerin dieselben Leistungen anbiete, die auch das Einzelunternehmen erbracht habe. Unter anderem führte die Klägerin einen Tiefbauauftrag für den Wasserbeschaffungsverband…aus, den Frau…noch 1994 für ihr Einzelunternehmen abgeschlossen hatte.

Die Klägerin erzielte im Rumpfwirtschaftsjahr 1994 ausweislich der Gewinn- und Verlustrechnung für 1994 (Bl. 51, 56-57 der vorgelegten Einspruchsakte) Umsatzerlöse von 158.679 DM und einen Jahresüberschuss von 22.632 DM. 1995 erwarb die Klägerin weitere Landmaschinen von Drittunternehmen für insgesamt 513.309 DM und weitete ihren Kundenstamm erheblich aus.

Nachdem die Vollstreckungsversuche des FA bei Frau…erfolglos blieben, nahm es die Klägerin für die auf Bl. 1 des Haftungsbescheids vom 14. Juni 1995 aufgeführten Beträge aus Lohnsteuer, Umsatzsteuer und Lohnkirchensteuer als Betriebs...

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