Zusammenfassung

Die Praxis hat andere Anforderungen an Kalkulationsverfahren als die Theorie. An zwei für Handelsunternehmen relevanten Beispielen (Ermittlung der Kunden- und Lieferantenprofitabilität sowie der Steuerung des Net Working Capital) werden beide Sichtweisen diskutiert.

Die Ermittlung einer Artikel-, Kunden- oder Lieferantenprofitabilität kann bei unreflektierter Verteilung von Gemeinkosten zu Fehlentscheidungen führen.

Bei der Steuerung des Net Working Capital verbessert die Bewertung der einzelnen Bestandteile des Net Working Capital in Tagen das Verständnis für die Praxis.

1 Ausgangssituation

Wahrscheinlich würde auf die Frage, in welcher Branche moderne Kalkulationsverfahren zu finden sind, den wenigsten der (Einzel-)Handel einfallen. Die Kalkulationsverfahren im Handel gelten allgemein als sehr einfach und weniger kompliziert als die in der Industrie oder im Finanzdienstleistungsbereich. Beschäftigt man sich jedoch intensiver mit dem Thema, so kommt man zu anderen Erkenntnissen: Viele Probleme mögen theoretisch schon lange diskutiert sein, die Kalkulationsverfahren haben sich in der Praxis aber noch nicht vollständig durchgesetzt.

Im vorliegenden Artikel werden mit der Profitabilitätsberechnung und der Steuerung des Net Working Capital zwei für den Handel elementare Fragestellungen vorgestellt. Für diese gibt es zwar ein "theoretisch" richtiges Kalkulationsverfahren, in der Praxis wurde es aber mehrfach abgewandelt.

Kunden- und Lieferanten­profitabilität

In Kapitel 2 zur Kunden- und Lieferantenprofitabilität wird gezeigt, dass Wechselwirkungen auf Kunden- und Lieferantenseite die Bestimmung der Profitabilität eines Artikels und damit die Ableitung von Handlungsempfehlungen erschweren.

Net Working Capital

Im Abschnitt zur Steuerung des Net Working Capital wird gezeigt, dass indirekte Effekte zu einer Veränderung des Net Working Capital führen und dass somit die Gefahr einer Fehlsteuerung entsteht, wenn diese nicht berücksichtigt werden.

Der Artikel endet mit einem Ausblick zu Herausforderungen, die sowohl theoretisch als auch praktisch als noch nicht zufriedenstellend gelöst anzusehen sind. Raum für Innovationen ist auch bei modernen Kalkulationsverfahren noch gegeben.

2 Kunden- und Lieferantenprofitabilität

Die Aufgabe eines Handelsunternehmens besteht darin, von Lieferanten solche Artikel auszuwählen und in das Sortiment aufzunehmen, die seinen Kunden den besten Nutzen bieten. Um die eigene Profitabilität zu erhöhen, stellt sich damit für das Handelsunternehmen die Frage, welche Kunden oder welche Lieferanten den höchsten Nutzen, d. h. die höchste Profitabilität liefern. Eigentlich müsste es zur Ermittlung der Unternehmensprofitabiliät genügen, für jeden verkauften Artikel die Kosten von den Erlösen (= Verkaufspreise) abzuziehen.

Interdependenzen erschweren Ermittlung der Profitabilität

Aufgrund von Wechselwirkungen können aber nicht alle Erlöse und Kosten genau einem Artikel zugeordnet werden. Eine Artikelprofitabilität ist daher äußerst ungenau.[1] Einen Ausweg stellt die Ermittlung der Profitabilität auf einer höher aggregierten Ebene (= Bezugsgröße) dar. Im Folgenden wird daher die Bezugsgrößenhierarchie auf Beschaffungs- und Absatzseite aufgeführt und wesentliche Interdependenzen innerhalb beider Seiten sowie zwischen den Seiten werden erläutert. Es zeigt sich, dass auf der Beschaffungsseite der einzelne Lieferant und auf der Absatzseite die Kundengruppe geeignete Bezugsgrößen darstellen.

[1] Zu dem Begriff der Interdependenz siehe Adam (1996), S. 168-172.

2.1 Bezugsgrößenhierarchie und Interdependenzen

Warengruppe

Das Sortiment als Gesamtheit aller angebotenen Artikel wird zur besseren Steuerung in Warengruppen und teilweise in Unterwarengruppen gegliedert.[1] Dabei wird unter einer Warengruppe eine Gruppe von Artikeln oder Dienstleistungen verstanden, die aus der Sicht des Kunden als zusammengehörig (komplementär) oder substituierbar zur Erfüllung seines Nutzens angesehen wird.

 
Praxis-Beispiel

Unterteilung in Warengruppen im Lebensmittelhandel

Das Sortiment lässt sich zunächst in einen Food- bzw. Non-Food-Bereich teilen. Der Food-Bereich kann dann z. B. weiter in die Warengruppen Fisch, Fleisch, Obst, Molkereiprodukte, Konserven, Getränke usw. unterteilt werden. Meist werden Warengruppen noch weiter in Unterwarengruppen (z. B. Molkereiprodukte in Milchprodukte, Desserts, Fette usw.) gegliedert.

 
Achtung

Mehrfachzuordnungen vermeiden

Diese Gliederung ist eine strenge Hierarchie, d. h. ein Artikel ist genau einer (Unter-)Warengruppe und eine Warengruppe genau einem Bereich zugeordnet. Würde man einen Artikel mehreren Warengruppen zuordnen (z. B. Milchmixgetränke sowohl der Warengruppe Getränke als auch der Warengruppe Molkereiprodukte), so könnte man den Umsatz oder den Ertrag nicht einfach über alle Warengruppen addieren, sondern müsste die Doppelzählungen eliminieren (konsolidieren).

In den meisten Fällen stellt der Artikel die niedrigste Bezugsgröße dar (als Ausnahme sei auf die Variante verwiesen: ein Schuh der Größe 10 ist eine Variante des Artikel "Laufschuh Asics GT-2140").

[1] Für die Modellierung der Artikel-/Warengrup...

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