Die in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG genannten Abschreibungssätze beruhen auf fiktiven Nutzungsdauern. Das Gesetz geht zudem typisierend davon aus, dass die in den Abschreibungssätzen unterstellte Nutzungsdauer von Gebäuden mit jedem Eigentümerwechsel neu beginnt. Da die Nutzungsdauer auf den jeweiligen Eigentümer zu beziehen ist, kann sich ein über der typisierten Nutzungsdauer liegender Zeitraum der Gesamtabsetzung ergeben.

Umfasst die tatsächliche Nutzungsdauer (= Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann[1]) allerdings einen gegenüber der typisierten Nutzungsdauer geringeren Zeitraum, z. B. bei einem 1980 erstellten Mietwohngrundstück 30 Jahre anstatt 50 Jahre, kann eine Abschreibung auf die tatsächliche (voraussichtliche) Nutzungsdauer erfolgen.[2] Die zu schätzende Nutzungsdauer wird nach ständiger Rechtsprechung bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, indem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Soweit die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen.[3] Wann im Einzelfall eine kürzere Nutzungsdauer vorliegt, ist eine Frage der tatsächlichen Würdigung. Der Steuerpflichtige trägt allerdings die Feststellungslast für eine kürzere Nutzungsdauer.[4] Die kürzere Nutzungsdauer ist anhand konkreter Umstände glaubhaft zu machen. Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich ist insoweit, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Faktoren – z. B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen – geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann[5], im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist.[6] Auszugehen ist grundsätzlich von der Schätzung des Steuerpflichtigen, der die konkreten Verhältnisse am besten kennt; das Finanzamt kann die Schätzung des Steuerpflichtigen nur verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt.[7] Die Vorlage eines (Bausubstanz-)Gutachtens, insbesondere die Zustandsermittlung von Immobilien mit Hilfe des sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen), seitens des Steuerpflichtigen ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer, selbst wenn ein solches Gutachten möglicherweise den "technischen Verschleiß" eines Gebäudes im Einzelfall nachvollziehen könnte. Ein Gutachten ist zwar nicht erforderlich, hat aber gegenüber der Finanzverwaltung eine Beweisfunktion.[8]

Eine nicht zeitgemäße Wohnungsausstattung[9], die geplante Aufgabe einer bestimmten Nutzung[10], drohende Unwirtschaftlichkeit[11] oder die geplante Veräußerung rechtfertigen für sich allein nicht die Annahme einer kürzeren Nutzungsdauer. Auch der Umstand, dass durch Eigentümerwechsel und dadurch verursachte wiederholte AfA die Gesamtnutzungsdauer eines Gebäudes 100 Jahre überschreitet, reicht nicht aus, um eine kürzere als die nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG typisierte Nutzungsdauer von 40 bzw. 50 Jahren anzunehmen. Eine mit wirtschaftlicher Abnutzung begründete kürzere Nutzungsdauer kann den AfA nur zugrunde gelegt werden, wenn das Wirtschaftsgut vor Ablauf der technischen Nutzungsdauer objektiv wirtschaftlich verbraucht ist. Ein wirtschaftlicher Verbrauch ist nur anzunehmen, wenn die Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen (anderweitigen) Nutzung oder Verwertung endgültig entfallen ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls.[12] Im gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren obliegt die hierzu notwendige Beurteilung allein dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz.[13]

Der Steuerpflichtige kann auch nachträglich von Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG auf die erhöhten Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG übergehen, wenn ihm die dafür maßgeblichen Umstände erst nachträglich bekannt werden. In diesem Fall ist die verbleibende tatsächliche Restnutzungsdauer mit der gesetzlichen Nutzungsdauer abzüglich der bereits verstrichenen Nutzungsdauer zu vergleichen.[14]

Ist der Abbruch des erworbenen Gebäudes innerhalb einer bestimmten Zeit behördlich vorgeschrieben, können die Gebäudeanschaffungskosten auf diese (gegenüber dem fiktiven Verteilungszeitraum kürzere) Zeitdauer abgeschrieben werden.

Nach einer grundlegenden Sanierung und Modernisierung eines Altbaus kommt die Geltendmachung einer verkürzten Nutzungsdauer...

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