Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachteilsausgleichsansprüche. Nachteilsausgleich im Insolvenzverfahren. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage. Bestimmung der Abfindungshöhe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unter den Voraussetzungen des § 122 Abs. 1 InsO kann der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Arbeitsgerichts dazu beantragen, dass eine geplante Betriebsänderung ohne vorheriges Einigungsstellenverfahren durchgeführt wird. Entlässt er aber Arbeitnehmer, ohne von dieser gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht zu haben, ist er in aller Regel zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs nach § 113 BetrVG verpflichtet.

2. Ausnahmen sind in der Insolvenz nur unter sehr engen Voraussetzungen denkbar, etwa wenn bereits der vorläufige Insolvenzverwalter feststellt, dass im Zeitpunkt des Insolvenzantrages keine Masse vorhanden ist, mit der das Verfahren bestritten oder Abwicklungsarbeiten durchgeführt werden können und deshalb im Interesse der Arbeitnehmer nur die sofortige vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit in Betracht kommt (im Anschluss an BAG 15.09.1976 – 1 AZR 784/75).

3. Liegen die Voraussetzungen für eine Ausnahme nicht vor, ist die Abfindung nach § 113 Abs. 1 BetrVG entsprechend den Grundsätzen zu § 10 Abs. 1, 2 KSchG zu bestimmen. Neben den im Gesetz genannten Kriterien ist u. a. die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers angemessen zu berücksichtigen. Der Sanktionszweck des § 113 BetrVG verbiete dabei zwar eine direkte oder analoge Anwendung des § 112 Abs. 5 BetrVG, auch in der Insolvenz. Das Gericht ist aber nicht gehindert, im Rahmen seiner Ermessensentscheidung die Interessen anderer Gläubiger in der Gesamtabwägung einzubeziehen. Liegt zudem nur ein geringer Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht vor, kann es bei einem massearmen Insolvenzverfahren unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls den Rechtsgedanken des § 123 InsO aufgreifen und die Abfindung auf 2,5 Bruttomonatsgehälter begrenzen.

 

Normenkette

InsO § 122 Abs. 1, § 123; BetrVG § 113 Abs. 1, § 112; KSchG § 10

 

Verfahrensgang

ArbG Wilhelmshaven (Urteil vom 13.02.0202; Aktenzeichen 1 Ca 356/01)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 13.02.2002 – 1 Ca 356/01 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch um Zahlung einer Abfindung nach § 113 BetrVG.

Die am 28.05.1998 gegründete Insolvenzschuldnerin betrieb in W. ein Unternehmen für Förderanlagen. Der Kläger war bei ihr und ihren Rechtsvorgängern seit 1972 beschäftigt, zuletzt als Fertigungsleiter zu einem Bruttomonatseinkommen von 3.067,74 EUR (6.000,00 DM).

Bereits im Geschäftsjahr 1999 musste die Insolvenzschuldnerin aus ihrer Geschäftstätigkeit einen Verlust von 1.114.381,64 DM hinnehmen. Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag lag bei 1 Million DM.

Am 12.05.2000 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet. Der Beklagte wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen bestellt. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte die Insolvenzschuldnerin 45 Arbeitnehmer. Sie verfügte über nahezu keine eigenen Vermögenswerte. Das Betriebsgrundstück gehörte dem Alleingesellschafter B., unter dessen Eigentumsvorbehalt auch die Maschinen, Fahrzeuge, die Einrichtung sowie Betriebs- und Geschäftsausstattung stand. Sämtliche Forderungen aus Lieferung und Leistung waren an die Sparkasse abgetreten, der auch das Umlaufvermögen mit Ausnahme der unter dem Eigentumsvorbehalt stehenden Waren von Lieferanten zur Sicherheit übereignet war.

Bei Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung war die Betriebstätigkeit der Insolvenzschuldnerin eingestellt, da die Sparkasse wegen Überschreitens der Kreditlinie keine weiteren Verfügungen mehr zuließ. Auf Intervention des Beklagten wurde der Geschäftsbetrieb zur vertragsgerechten Abarbeitung bestehender Aufträge aufgenommen. Dabei ging es insbesondere um zwei Großaufträge des Bauunternehmens H. mit einem Gesamtvolumen von 2,5 Millionen DM. Die Zwischenfinanzierung erfolgte durch die Sparkasse.

Parallel dazu akquirierte der Beklagte einen größeren Auftrag der N. mit einem Volumen von 213.400,00 DM und verschiedenen kleineren Aufträgen im Ersatzteilgeschäft. Die vorhandenen Aufträge waren Anfang November 2000 fast abgearbeitet.

Erfolgsversprechend verliefen Verhandlungen mit der ansässigen D. GmbH über eine dauerhafte Zusammenarbeit. Dieses Unternehmen zeigte starkes Interesse, von der Insolvenzschuldnerin in deren Betrieb jährlich etwa 250 Motorengestelle für Krane fertigen und montieren zu lassen. Unter dem 21.08.2002 ließ der Beklagte ein schriftliches Angebot erstellen, über das in der Folgezeit intensiv verhandelt wurde. Der Vertrag kam schließlich nicht zustande, weil der vom Beklagten angebotene Preis der Interessentin zu hoch war. Die D. GmbH sagte am 06.11.2001 endgültig ab.

Am gleichen Tage stellte die Sparkasse auf Intervention des Bekl...

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