Leitsatz

1. Eine einheitliche Grenze der zeitlichen Aufenthaltsdauer, bei deren Unterschreiten eine annähernd gleichwertige Haushaltsaufnahme generell zu verneinen wäre, besteht nicht.

2. Es ist eine Frage der tatsächlichen Würdigung des FG, ob die jeweilige Aufenthaltsdauer unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls die Annahme rechtfertigt, dass das Kind seinen Lebensmittelpunkt bei beiden Eltern hat.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 1 Nr. 1, § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 64 Abs. 1 und 2, § 66 Abs. 2 EStG, § 118 Abs. 2 FGO, § 133, § 157 BGB

 

Sachverhalt

Der Kläger beanspruchte Kindergeld für den Sohn, der nach der Trennung der Eltern in beiden Haushalten abwechselnd lebte. Kindergeld wurde antragsgemäß mit Einverständnis der Mutter an den Kläger ausgezahlt. Nach Antrag der Mutter wurde das Kindergeld ab Januar 2009 an sie ausgezahlt. Im Oktober 2009 legten sie eine Vereinbarung vor (Zahlung an den Kläger).

 

Entscheidung

Im Streitfall war die Würdigung des FG (Hessisches FG, Urteil vom 24.8.2010, 2 K 2076/09, Haufe-Index 2692538), das entgegen der Auffassung des FA nicht allein auf die Aufenthaltstage abgestellt hatte, daher nicht zu beanstanden.

Die Bestimmung des Kindergeldberechtigten nach § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG (empfangsbedürftige rechtsgestaltende Willenserklärung) bindet nach Zugang bei der zuständigen Familienkasse und wirkt nicht zurück. Nur wenn noch keine Bestimmung vorlag, oder eine Bestimmung z.B. durch den Antrag des anderen Elternteils widerrufen worden ist, kann auch eine nachträgliche Bestimmung noch für den Zeitraum der fehlenden Bestimmung berücksichtigt werden.

 

Hinweis

1. Bei mehreren Berechtigten ist kindergeldberechtigt derjenige, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG); bei annähernd gleichwertiger Aufnahme in die Haushalte der getrennt lebenden Eltern bestimmen die Eltern untereinander analog § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG den Berechtigten.

2. Eine Haushaltsaufnahme liegt vor, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein. Das ist fallgruppenspezifisch zu konkretisieren. Geht die Dauer der Aufenthalte des Kindes in den Haushalten beider Elternteile über einen Besuchs- oder Feriencharakter hinaus, ist zusätzlich erforderlich, dass sich das Kind dort überwiegend aufhalten und seinen Lebensmittelpunkt haben muss. Zwar kommt dem Zeitmoment eine besondere Bedeutung zu. Eine einheitliche Grenze der zeitlichen Aufenthaltsdauer, bei deren Unterschreiten eine – annähernd gleichwertige – Haushaltsaufnahme generell zu verneinen wäre, besteht jedoch nicht.

3. Es obliegt der tatsächlichen Würdigung des FG, ob die jeweilige Aufenthaltsdauer unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls (wie z.B. ein gemeinsames Sorgerecht, eigenes Kinderzimmer, Möglichkeit des Kindes, den Aufenthalt frei zu wählen) die Annahme rechtfertigt, dass das Kind seinen Lebensmittelpunkt bei beiden Eltern hat. Das FG muss dabei auch würdigen, ob Änderungen der Aufenthaltsdauer in den einzelnen Leistungszeiträumen (vgl. § 66 Abs. 2 EStG) zu einer Änderung des Lebensmittelpunkts des Kindes führen. Dies ist i.d.R. nur dann der Fall, wenn sie auf grundlegenden Veränderungen der Verhältnisse beruhen (z.B. Änderung der Umgangsregelungen), nicht jedoch, wenn sie sich aus der Natur der Sache selbst ergeben (z.B. Schulferien, bestimmte Form einer Umgangsregelung).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 18.4.2013 – V R 41/11

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