Leitsatz

Eine Grundrente nach § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. § 31 BVG ist nicht als Bezug eines behinderten volljährigen Kindes zu berücksichtigen.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, § 33b EStG, § 1 Abs. 1 OEG, § 31 BVG

 

Sachverhalt

Der Kläger ist der Vater einer volljährigen behinderten Tochter. Die Tochter ist verheiratet und hat mit ihrem Ehemann zwei minderjährige Kinder. Die Tochter bezog in dem im Revisionsverfahren noch streitigen Zeitraum (November und Dezember 2019) Bundeselterngeld sowie eine Beschädigtengrundrente nach dem OEG. Die Familienkasse ging davon aus, dass die Tochter unter Berücksichtigung dieser Leistungen und des Unterhaltsanspruchs gegen ihren Ehemann in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten. Sie hob daher die bestehende Kindergeldfestsetzung auf. Das FG gab der Klage statt (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.1.2021, 3 K 126/20, Haufe-Index 14373083).

 

Entscheidung

Die Revision der Familienkasse hatte keinen Erfolg. Der BFH entschied, dass die Beschädigtengrundrente nicht zu den Bezügen der Tochter zu rechnen sei. Zudem habe die Familienkasse bei der Ermittlung des Unterhaltsanspruchs nicht berücksichtigt, dass der Ehegatte zunächst den Unterhalt der gemeinsamen Kinder sicherstellen müsse.

 

Hinweis

1. Der Kindergeldanspruch für volljährige behinderte Kinder setzt u.a. voraus, dass sich das Kind nicht selbst unterhalten kann. In diesem Fall geht das Gesetz typisierend davon aus, dass das Kind weiter auf Unterhaltsleistungen seiner Eltern angewiesen ist. Diese Unterhaltslasten werden durch die Gewährung von Kindergeld oder den Abzug der kindbedingten Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG steuerlich berücksichtigt.

2. Die Fähigkeit zum Selbstunterhalt wird anhand einer Vergleichsrechnung geprüft. Dabei wird einerseits der Bedarf des Kindes ermittelt, der sich aus dem Grundbedarf und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammensetzt. Andererseits werden die dem Kind zur Verfügung stehenden Mittel berechnet, die sich aus seinen Einkünften und seinen sonstigen Bezügen zusammensetzen. Da sowohl der Kindergeldanspruch als auch der Anspruch auf die Freibeträge dem Monatsprinzip folgen, wird auch die Selbstunterhaltsfähigkeit für jeden Monat gesondert ermittelt.

3. Soweit eine Rente nicht bereits als Einkünfte nach § 22 Nr. 1 EStG zu erfassen ist, kann sie auch zu den Bezügen zu rechnen sein. Das setzt allerdings voraus, dass die Rente zur Bestreitung des Lebensunterhalts des Kindes bestimmt oder geeignet ist. Dies hat der BFH (BFH, Urteil vom 13.4.2016, III R 28/15, BFH/NV 2016, 1221, Haufe-Index 9483420) für die Schmerzensgeldrente verneint, weil diese die Funktion habe, immaterielle Schäden abzumildern und dem Geschädigten Genugtuung für das zu verschaffen, was ihm der Schädiger angetan hat.

4. Entsprechendes hat der BFH in der Besprechungsentscheidung für die Opferentschädigungsrente entschieden. Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) sieht für Personen, die infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen sich oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, einen Versorgungsanspruch vor (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG). Die Ausgestaltung des Versorgungsanspruchs erfolgt in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Danach kommen insbesondere Heilbehandlungen der Schädigung, einkommensunabhängige Rentenleistungen aufgrund der bleibenden Schädigungsfolgen sowie einkommensabhängige Leistungen mit Lohnersatzfunktion in Betracht.

5. Wird eine Beschädigtengrundrente gewährt, so bezweckt auch diese primär den Ausgleich immaterieller Folgen der vorsätzlichen, rechtswidrigen Tat und der Genugtuung des Opfers. Ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für das Opfer dient die Grundrente nicht der Linderung konkreter Not. Sie setzt auch keine Bedürftigkeit voraus und soll nicht den Lebensunterhalt des Beschädigten und seiner Familie sicherstellen. Daher ist auch sie nicht zu den Bezügen des Kindes zu rechnen.

Selbst wenn die Grundrente aber ausnahmsweise auch materielle Schäden ausgleichen soll, hat sie im Ergebnis meist keinen Einfluss auf die Selbstunterhaltsfähigkeit des Kindes, da sich dann in der Regel auch der behinderungsbedingte Mehrbedarf des Kindes in entsprechendem Umfang erhöht.

6. Zu den Bezügen des Kindes zählt auch der Unterhaltsanspruch gegen seinen Ehegatten. Für die Frage, ob und in welchem Umfang der Ehegatte dem behinderten Kind Ehegattenunterhalt schuldet, sind aber vorrangige Unterhaltsverpflichtungen des Ehegatten gegenüber seinen Kindern zu berücksichtigen, da diese die Leistungsfähigkeit des Ehegatten mindern (BFH, Urteil vom 20.10.2022, BFH/NV 2023, 663, Haufe-Index 15620263).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 20.4.2023 – III R 7/21

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